gewöhnlich als Subjektspartikeln betrachtet werden, vor- handen ist, geht dem Japaner das Bewußtsein eines Subjekts in unserm Sinne ab, so daß im Grunde jeder Satz unpersönlich ist. Was ist der Grund? Man sollte doch meinen, daß dem wahrnehmenden Geist · die Dinge als solche am nächsten liegen. Das Dingwort sollte also das Wesentlichste der Sprache sein, womit denn auch zugleich dem Subjekt, das ja in der Regel mit einem Dingwort identisch ist, eine leitende Stelle ange- wiesen würde.
Eine solche Voraussetzung ist nicht unbedingt zuzu- geben. Ebensowohl wie das Ding ist die Handlung Gegenstand der Wahrnehmung. Neben der Eleatischen Philosophie des Seins und der Ruhe giebt es eine Heraklitische des Werdens und der Bewegung; beide aber liegen auf dem Gebiete der Wahrnehmung; die Bewegung geht noch keineswegs über dieselbe hinaus. Ja, psychologische Beobachtung von Kindern wird sogar zeigen, daß die Bewegung, die Thätigkeit, die Handlung den primitiven Geist am meisten fesselt. Das wogende Meer erregt die Aufmerksamkeit des Kindes in höherem Grade als der unbewegliche Berg; das laufende Pferd betrachtet es mit größerem Interesse als das schönste Pferd in Ruhe. So steht denn im Japanischen das Verbum als der Ausdruck der Bewegung im Mittel- punkt der Anschauung und im Mittelpunkt der Sprache. Wenn diese Bevorzugung dann auch dem Prädikat im weiteren Sinne wie z. B. hoch sein, rot sein etc. zu teil wird, so liegt das nur in der Kon- sequenz des Gesagten. Denn was an einem Berg dem primitiven Geist zuerst auffällt, ist natürlich nicht, daß da ein Berg ist, sondern daß da etwas Hohes ist, also sein Hochsein, sein Attribut; Berg ist erst abstrahiert
gewöhnlich als Subjektspartikeln betrachtet werden, vor- handen iſt, geht dem Japaner das Bewußtſein eines Subjekts in unſerm Sinne ab, ſo daß im Grunde jeder Satz unperſönlich iſt. Was iſt der Grund? Man ſollte doch meinen, daß dem wahrnehmenden Geiſt · die Dinge als ſolche am nächſten liegen. Das Dingwort ſollte alſo das Weſentlichſte der Sprache ſein, womit denn auch zugleich dem Subjekt, das ja in der Regel mit einem Dingwort identiſch iſt, eine leitende Stelle ange- wieſen würde.
Eine ſolche Vorausſetzung iſt nicht unbedingt zuzu- geben. Ebenſowohl wie das Ding iſt die Handlung Gegenſtand der Wahrnehmung. Neben der Eleatiſchen Philoſophie des Seins und der Ruhe giebt es eine Heraklitiſche des Werdens und der Bewegung; beide aber liegen auf dem Gebiete der Wahrnehmung; die Bewegung geht noch keineswegs über dieſelbe hinaus. Ja, pſychologiſche Beobachtung von Kindern wird ſogar zeigen, daß die Bewegung, die Thätigkeit, die Handlung den primitiven Geiſt am meiſten feſſelt. Das wogende Meer erregt die Aufmerkſamkeit des Kindes in höherem Grade als der unbewegliche Berg; das laufende Pferd betrachtet es mit größerem Intereſſe als das ſchönſte Pferd in Ruhe. So ſteht denn im Japaniſchen das Verbum als der Ausdruck der Bewegung im Mittel- punkt der Anſchauung und im Mittelpunkt der Sprache. Wenn dieſe Bevorzugung dann auch dem Prädikat im weiteren Sinne wie z. B. hoch ſein, rot ſein ꝛc. zu teil wird, ſo liegt das nur in der Kon- ſequenz des Geſagten. Denn was an einem Berg dem primitiven Geiſt zuerſt auffällt, iſt natürlich nicht, daß da ein Berg iſt, ſondern daß da etwas Hohes iſt, alſo ſein Hochſein, ſein Attribut; Berg iſt erſt abſtrahiert
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0053"n="39"/>
gewöhnlich als Subjektspartikeln betrachtet werden, vor-<lb/>
handen iſt, geht dem Japaner das Bewußtſein eines<lb/>
Subjekts in unſerm Sinne ab, ſo daß im Grunde jeder<lb/>
Satz unperſönlich iſt. Was iſt der Grund? Man ſollte<lb/>
doch meinen, daß dem wahrnehmenden Geiſt · die Dinge<lb/>
als ſolche am nächſten liegen. Das Dingwort ſollte<lb/>
alſo das Weſentlichſte der Sprache ſein, womit denn<lb/>
auch zugleich dem Subjekt, das ja in der Regel mit<lb/>
einem Dingwort identiſch iſt, eine leitende Stelle ange-<lb/>
wieſen würde.</p><lb/><p>Eine ſolche Vorausſetzung iſt nicht unbedingt zuzu-<lb/>
geben. Ebenſowohl wie das Ding iſt die Handlung<lb/>
Gegenſtand der Wahrnehmung. Neben der Eleatiſchen<lb/>
Philoſophie des Seins und der Ruhe giebt es eine<lb/>
Heraklitiſche des Werdens und der Bewegung; beide<lb/>
aber liegen auf dem Gebiete der Wahrnehmung; die<lb/>
Bewegung geht noch keineswegs über dieſelbe hinaus.<lb/>
Ja, pſychologiſche Beobachtung von Kindern wird ſogar<lb/>
zeigen, daß die Bewegung, die Thätigkeit, die Handlung<lb/>
den primitiven Geiſt am meiſten feſſelt. Das wogende<lb/>
Meer erregt die Aufmerkſamkeit des Kindes in höherem<lb/>
Grade als der unbewegliche Berg; das laufende Pferd<lb/>
betrachtet es mit größerem Intereſſe als das ſchönſte<lb/>
Pferd in Ruhe. So ſteht denn im Japaniſchen das<lb/>
Verbum als der Ausdruck der Bewegung im Mittel-<lb/>
punkt der Anſchauung und im Mittelpunkt der<lb/>
Sprache. Wenn dieſe Bevorzugung dann auch<lb/>
dem Prädikat im weiteren Sinne wie z. B. hoch ſein,<lb/>
rot ſein ꝛc. zu teil wird, ſo liegt das nur in der Kon-<lb/>ſequenz des Geſagten. Denn was an einem Berg dem<lb/>
primitiven Geiſt zuerſt auffällt, iſt natürlich nicht, daß<lb/>
da ein Berg iſt, ſondern daß da etwas Hohes iſt, alſo<lb/>ſein Hochſein, ſein Attribut; Berg iſt erſt abſtrahiert<lb/></p></div></body></text></TEI>
[39/0053]
gewöhnlich als Subjektspartikeln betrachtet werden, vor-
handen iſt, geht dem Japaner das Bewußtſein eines
Subjekts in unſerm Sinne ab, ſo daß im Grunde jeder
Satz unperſönlich iſt. Was iſt der Grund? Man ſollte
doch meinen, daß dem wahrnehmenden Geiſt · die Dinge
als ſolche am nächſten liegen. Das Dingwort ſollte
alſo das Weſentlichſte der Sprache ſein, womit denn
auch zugleich dem Subjekt, das ja in der Regel mit
einem Dingwort identiſch iſt, eine leitende Stelle ange-
wieſen würde.
Eine ſolche Vorausſetzung iſt nicht unbedingt zuzu-
geben. Ebenſowohl wie das Ding iſt die Handlung
Gegenſtand der Wahrnehmung. Neben der Eleatiſchen
Philoſophie des Seins und der Ruhe giebt es eine
Heraklitiſche des Werdens und der Bewegung; beide
aber liegen auf dem Gebiete der Wahrnehmung; die
Bewegung geht noch keineswegs über dieſelbe hinaus.
Ja, pſychologiſche Beobachtung von Kindern wird ſogar
zeigen, daß die Bewegung, die Thätigkeit, die Handlung
den primitiven Geiſt am meiſten feſſelt. Das wogende
Meer erregt die Aufmerkſamkeit des Kindes in höherem
Grade als der unbewegliche Berg; das laufende Pferd
betrachtet es mit größerem Intereſſe als das ſchönſte
Pferd in Ruhe. So ſteht denn im Japaniſchen das
Verbum als der Ausdruck der Bewegung im Mittel-
punkt der Anſchauung und im Mittelpunkt der
Sprache. Wenn dieſe Bevorzugung dann auch
dem Prädikat im weiteren Sinne wie z. B. hoch ſein,
rot ſein ꝛc. zu teil wird, ſo liegt das nur in der Kon-
ſequenz des Geſagten. Denn was an einem Berg dem
primitiven Geiſt zuerſt auffällt, iſt natürlich nicht, daß
da ein Berg iſt, ſondern daß da etwas Hohes iſt, alſo
ſein Hochſein, ſein Attribut; Berg iſt erſt abſtrahiert
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/53>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.