ist nur dem Denken möglich, welches von den Dingen schlechthin zu abstrahieren weiß, also dem über die Wahrnehmung hinausliegenden Denken.
Der Japaner verbindet die Negation mit dem Ver- bum, das heißt mit demjenigen Sprachteil, durch den allein Veränderungen des Seins sich ausdrücken lassen.
Die Bildung des Negativums ist psychologisch un- schwer nachzukonstruieren. Nehmen wir den Satz: "Ame ga furanai", "es regnet nicht". Ehe dieser negative Satz gesprochen wurde, war im Geist isoliert schon das positive Bild des Regnens, der Gedanke an Regnen vorhanden, veranlaßt durch eine vorhergehende Frage: "Regnet es?" oder durch die Erinnerung an das gestrige schlechte Wetter oder durch die Beobachtung eines be- deckten Himmels etc. Indem dann dieses positive Bild des Geistes in Vergleichung zu der thatsächlichen Wirk- lichkeit gebracht wird, findet man, daß dasselbe in der Wirklichkeit nicht vorhanden ist und sagt dann: "Furanai", "regnen -- nicht vorhanden". Das Negativ ist also die Angabe, daß ein positives Bild des Geistes in der Welt der Wirklichkeit keine Bestätigung findet.
Der Umstand, daß ein eigenes Wort für unser "nicht" nicht existiert, impliziert schon, daß für den Japaner die Negation überhaupt nichts Selbständiges ist. Sie verschmilzt mit dem Zeitwort, mit welchem sie sich verbindet, zu einem einzigen Begriff. Dieser Begriff aber hat im Japanischen in gewissem Sinne positive Bedeutung, in Übereinstimmung damit, daß für die Geistesstufe der Wahrnehmung überhaupt nur das Po- sitive existiert.
Die positive Natur des negativen Verbums fällt sofort auf bei der Beantwortung negativer Fragen. Auf eine negativ gestellte Frage antwortet der Japaner po-
iſt nur dem Denken möglich, welches von den Dingen ſchlechthin zu abſtrahieren weiß, alſo dem über die Wahrnehmung hinausliegenden Denken.
Der Japaner verbindet die Negation mit dem Ver- bum, das heißt mit demjenigen Sprachteil, durch den allein Veränderungen des Seins ſich ausdrücken laſſen.
Die Bildung des Negativums iſt pſychologiſch un- ſchwer nachzukonſtruieren. Nehmen wir den Satz: „Ame ga furanai“, „es regnet nicht“. Ehe dieſer negative Satz geſprochen wurde, war im Geiſt iſoliert ſchon das poſitive Bild des Regnens, der Gedanke an Regnen vorhanden, veranlaßt durch eine vorhergehende Frage: „Regnet es?“ oder durch die Erinnerung an das geſtrige ſchlechte Wetter oder durch die Beobachtung eines be- deckten Himmels ꝛc. Indem dann dieſes poſitive Bild des Geiſtes in Vergleichung zu der thatſächlichen Wirk- lichkeit gebracht wird, findet man, daß dasſelbe in der Wirklichkeit nicht vorhanden iſt und ſagt dann: „Furanai“, „regnen — nicht vorhanden“. Das Negativ iſt alſo die Angabe, daß ein poſitives Bild des Geiſtes in der Welt der Wirklichkeit keine Beſtätigung findet.
Der Umſtand, daß ein eigenes Wort für unſer „nicht“ nicht exiſtiert, impliziert ſchon, daß für den Japaner die Negation überhaupt nichts Selbſtändiges iſt. Sie verſchmilzt mit dem Zeitwort, mit welchem ſie ſich verbindet, zu einem einzigen Begriff. Dieſer Begriff aber hat im Japaniſchen in gewiſſem Sinne poſitive Bedeutung, in Übereinſtimmung damit, daß für die Geiſtesſtufe der Wahrnehmung überhaupt nur das Po- ſitive exiſtiert.
Die poſitive Natur des negativen Verbums fällt ſofort auf bei der Beantwortung negativer Fragen. Auf eine negativ geſtellte Frage antwortet der Japaner po-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0067"n="53"/>
iſt nur dem Denken möglich, welches von den Dingen<lb/>ſchlechthin zu abſtrahieren weiß, alſo dem über die<lb/>
Wahrnehmung hinausliegenden Denken.</p><lb/><p>Der Japaner verbindet die Negation mit dem Ver-<lb/>
bum, das heißt mit demjenigen Sprachteil, durch den<lb/>
allein Veränderungen des Seins ſich ausdrücken laſſen.</p><lb/><p>Die Bildung des Negativums iſt pſychologiſch un-<lb/>ſchwer nachzukonſtruieren. Nehmen wir den Satz: <hirendition="#aq">„Ame<lb/>
ga furanai“,</hi>„es regnet nicht“. Ehe dieſer negative<lb/>
Satz geſprochen wurde, war im Geiſt iſoliert ſchon das<lb/>
poſitive Bild des Regnens, der Gedanke an Regnen<lb/>
vorhanden, veranlaßt durch eine vorhergehende Frage:<lb/>„Regnet es?“ oder durch die Erinnerung an das geſtrige<lb/>ſchlechte Wetter oder durch die Beobachtung eines be-<lb/>
deckten Himmels ꝛc. Indem dann dieſes poſitive Bild<lb/>
des Geiſtes in Vergleichung zu der thatſächlichen Wirk-<lb/>
lichkeit gebracht wird, findet man, daß dasſelbe in der<lb/>
Wirklichkeit nicht vorhanden iſt und ſagt dann: <hirendition="#aq">„Furanai“,</hi><lb/>„regnen — nicht vorhanden“. Das Negativ iſt alſo<lb/>
die Angabe, daß ein poſitives Bild des Geiſtes in der<lb/>
Welt der Wirklichkeit keine Beſtätigung findet.</p><lb/><p>Der Umſtand, daß ein eigenes Wort für unſer<lb/>„nicht“ nicht exiſtiert, impliziert ſchon, daß für den<lb/>
Japaner die Negation überhaupt nichts Selbſtändiges<lb/>
iſt. Sie verſchmilzt mit dem Zeitwort, mit welchem ſie<lb/>ſich verbindet, zu einem einzigen Begriff. Dieſer Begriff<lb/>
aber hat im Japaniſchen in gewiſſem Sinne poſitive<lb/>
Bedeutung, in Übereinſtimmung damit, daß für die<lb/>
Geiſtesſtufe der Wahrnehmung überhaupt nur das Po-<lb/>ſitive exiſtiert.</p><lb/><p>Die poſitive Natur des negativen Verbums fällt<lb/>ſofort auf bei der Beantwortung negativer Fragen. Auf<lb/>
eine negativ geſtellte Frage antwortet der Japaner po-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[53/0067]
iſt nur dem Denken möglich, welches von den Dingen
ſchlechthin zu abſtrahieren weiß, alſo dem über die
Wahrnehmung hinausliegenden Denken.
Der Japaner verbindet die Negation mit dem Ver-
bum, das heißt mit demjenigen Sprachteil, durch den
allein Veränderungen des Seins ſich ausdrücken laſſen.
Die Bildung des Negativums iſt pſychologiſch un-
ſchwer nachzukonſtruieren. Nehmen wir den Satz: „Ame
ga furanai“, „es regnet nicht“. Ehe dieſer negative
Satz geſprochen wurde, war im Geiſt iſoliert ſchon das
poſitive Bild des Regnens, der Gedanke an Regnen
vorhanden, veranlaßt durch eine vorhergehende Frage:
„Regnet es?“ oder durch die Erinnerung an das geſtrige
ſchlechte Wetter oder durch die Beobachtung eines be-
deckten Himmels ꝛc. Indem dann dieſes poſitive Bild
des Geiſtes in Vergleichung zu der thatſächlichen Wirk-
lichkeit gebracht wird, findet man, daß dasſelbe in der
Wirklichkeit nicht vorhanden iſt und ſagt dann: „Furanai“,
„regnen — nicht vorhanden“. Das Negativ iſt alſo
die Angabe, daß ein poſitives Bild des Geiſtes in der
Welt der Wirklichkeit keine Beſtätigung findet.
Der Umſtand, daß ein eigenes Wort für unſer
„nicht“ nicht exiſtiert, impliziert ſchon, daß für den
Japaner die Negation überhaupt nichts Selbſtändiges
iſt. Sie verſchmilzt mit dem Zeitwort, mit welchem ſie
ſich verbindet, zu einem einzigen Begriff. Dieſer Begriff
aber hat im Japaniſchen in gewiſſem Sinne poſitive
Bedeutung, in Übereinſtimmung damit, daß für die
Geiſtesſtufe der Wahrnehmung überhaupt nur das Po-
ſitive exiſtiert.
Die poſitive Natur des negativen Verbums fällt
ſofort auf bei der Beantwortung negativer Fragen. Auf
eine negativ geſtellte Frage antwortet der Japaner po-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.