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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Durch die Tendenz, die Neben- und Hauptsache in
der Sprache zum Ausdruck zu bringen, sind kurze Sätze
von vornherein beschränkt. Kurze Sätze sind überall da
häufig, wo Nebeneinanderstellung, Koordination statt-
findet. Dieses ist im Japanischen aber nicht der Fall.
Der Japaner bildet daher Satzgefüge und zwar, ent-
sprechend dem gegenseitigen Verhältnis der einzelnen
Glieder, oft von außerordentlicher Länge. Als ich es
einmal fertig gebracht hatte, eine ganze anderthalbseitige
Geschichte in einem einzigen Satz zu erzählen, fand ich
Gnade vor meinem japanischen Lehrer.

Ein großes Kreuz für den Europäer bildet die
Höflichkeitssprache. Zwar haben ja auch wir Deutsche
unser redlich Teil an diesem Kreuz zu tragen, aber im
Vergleich zu dem Japanischen sind unsere Höflichkeits-
phrasen harmloser Natur. In unsere Sprachen über-
setzt, klingt die japanische Höflichkeit höchst lächerlich
und geschraubt. Warum man von so einem gewöhnlichen
Ding wie von den Füßen als von "geehrten und er-
habenen Füßen" spricht, ist gewiß nicht einzusehen. Die
Höflichkeitssprache hat zum Teil ihr eigenes Vokabularium
und zwingt dem Verbum andere und neue Formen auf.
Für das Sprechen ist sie von außerordentlicher Wich-
tigkeit, da sich ohne Kenntnis derselben nicht einmal ein
einfaches Gespräch führen läßt. Falsch aber wäre es,
von ihr einen Schluß auf den inneren Charakter der
Sprache zu machen. Dieselbe ist nichts weiter als eine
bis ins kleinste kunstvoll ausgebildete Etiquette auf dem
Gebiet des Sprechens. Sie ist also nicht etwas Ursprüng-
liches sondern Kunst; sie gehört nicht zur Natur der
Sprache selbst, sondern wurde von außen eingetragen.
Sie ist in eminentem Sinn das Element, in welchem
der Japaner seine Sprache, die er sonst gar nicht bear-

Durch die Tendenz, die Neben- und Hauptſache in
der Sprache zum Ausdruck zu bringen, ſind kurze Sätze
von vornherein beſchränkt. Kurze Sätze ſind überall da
häufig, wo Nebeneinanderſtellung, Koordination ſtatt-
findet. Dieſes iſt im Japaniſchen aber nicht der Fall.
Der Japaner bildet daher Satzgefüge und zwar, ent-
ſprechend dem gegenſeitigen Verhältnis der einzelnen
Glieder, oft von außerordentlicher Länge. Als ich es
einmal fertig gebracht hatte, eine ganze anderthalbſeitige
Geſchichte in einem einzigen Satz zu erzählen, fand ich
Gnade vor meinem japaniſchen Lehrer.

Ein großes Kreuz für den Europäer bildet die
Höflichkeitsſprache. Zwar haben ja auch wir Deutſche
unſer redlich Teil an dieſem Kreuz zu tragen, aber im
Vergleich zu dem Japaniſchen ſind unſere Höflichkeits-
phraſen harmloſer Natur. In unſere Sprachen über-
ſetzt, klingt die japaniſche Höflichkeit höchſt lächerlich
und geſchraubt. Warum man von ſo einem gewöhnlichen
Ding wie von den Füßen als von „geehrten und er-
habenen Füßen“ ſpricht, iſt gewiß nicht einzuſehen. Die
Höflichkeitsſprache hat zum Teil ihr eigenes Vokabularium
und zwingt dem Verbum andere und neue Formen auf.
Für das Sprechen iſt ſie von außerordentlicher Wich-
tigkeit, da ſich ohne Kenntnis derſelben nicht einmal ein
einfaches Geſpräch führen läßt. Falſch aber wäre es,
von ihr einen Schluß auf den inneren Charakter der
Sprache zu machen. Dieſelbe iſt nichts weiter als eine
bis ins kleinſte kunſtvoll ausgebildete Etiquette auf dem
Gebiet des Sprechens. Sie iſt alſo nicht etwas Urſprüng-
liches ſondern Kunſt; ſie gehört nicht zur Natur der
Sprache ſelbſt, ſondern wurde von außen eingetragen.
Sie iſt in eminentem Sinn das Element, in welchem
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[57/0071] Durch die Tendenz, die Neben- und Hauptſache in der Sprache zum Ausdruck zu bringen, ſind kurze Sätze von vornherein beſchränkt. Kurze Sätze ſind überall da häufig, wo Nebeneinanderſtellung, Koordination ſtatt- findet. Dieſes iſt im Japaniſchen aber nicht der Fall. Der Japaner bildet daher Satzgefüge und zwar, ent- ſprechend dem gegenſeitigen Verhältnis der einzelnen Glieder, oft von außerordentlicher Länge. Als ich es einmal fertig gebracht hatte, eine ganze anderthalbſeitige Geſchichte in einem einzigen Satz zu erzählen, fand ich Gnade vor meinem japaniſchen Lehrer. Ein großes Kreuz für den Europäer bildet die Höflichkeitsſprache. Zwar haben ja auch wir Deutſche unſer redlich Teil an dieſem Kreuz zu tragen, aber im Vergleich zu dem Japaniſchen ſind unſere Höflichkeits- phraſen harmloſer Natur. In unſere Sprachen über- ſetzt, klingt die japaniſche Höflichkeit höchſt lächerlich und geſchraubt. Warum man von ſo einem gewöhnlichen Ding wie von den Füßen als von „geehrten und er- habenen Füßen“ ſpricht, iſt gewiß nicht einzuſehen. Die Höflichkeitsſprache hat zum Teil ihr eigenes Vokabularium und zwingt dem Verbum andere und neue Formen auf. Für das Sprechen iſt ſie von außerordentlicher Wich- tigkeit, da ſich ohne Kenntnis derſelben nicht einmal ein einfaches Geſpräch führen läßt. Falſch aber wäre es, von ihr einen Schluß auf den inneren Charakter der Sprache zu machen. Dieſelbe iſt nichts weiter als eine bis ins kleinſte kunſtvoll ausgebildete Etiquette auf dem Gebiet des Sprechens. Sie iſt alſo nicht etwas Urſprüng- liches ſondern Kunſt; ſie gehört nicht zur Natur der Sprache ſelbſt, ſondern wurde von außen eingetragen. Sie iſt in eminentem Sinn das Element, in welchem der Japaner ſeine Sprache, die er ſonſt gar nicht bear-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/71>, abgerufen am 24.11.2024.