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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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Sie mußt uns ihre Geschichte noch ein-
mal in pleno erzählen, und ihre Gebehr-
den verbürgten mehr als beschworne Aussag'
dreyer Zeugen die reine goldlautere Wahr-
heit ihrer Wort' und Reden. Denn ihr
ganzes Gesicht ist Stempel kindlicher Un-
schuld und Aufrichtigkeit, und theilt das
Gepräge derselben ieder ihrer Aeusserun-
gen mit.

Eh' wir auseinander schieden, zeichnet'
ich noch ihr Schattenprofil, nahm's mit in
mein Kloset, und deutet' es mit Hülfe des
Jdeals, das mir von der holden Dirn' gar
anschaulich vorschwebt' also: ein Gesicht
das ohne Prätension prätendirt, eine reine,
gute, in sich selbst wohnende Seele. Die
Stirn so Eindrucksfähig, so ohn' alles Ar-
ge. Die Nase sicherlich einer keuschen edlen
iungfräulichen Seele würdig. Das Auge
hinschmachtend in Wonnegefühl unkörperli-
cher Liebe. Das Ohr, besonders im zarten
Sammetweichen Ohrläpplein, hat viel Aus-
druck von Sanftheit. Empfindsamkeit und
weichmüthige Güte in der vorstehenden
Oberlippe, so wie honigsüsse Lieblichkeit im
Munde überhaupt.

O du
G 4

Sie mußt uns ihre Geſchichte noch ein-
mal in pleno erzaͤhlen, und ihre Gebehr-
den verbuͤrgten mehr als beſchworne Auſſag’
dreyer Zeugen die reine goldlautere Wahr-
heit ihrer Wort’ und Reden. Denn ihr
ganzes Geſicht iſt Stempel kindlicher Un-
ſchuld und Aufrichtigkeit, und theilt das
Gepraͤge derſelben ieder ihrer Aeuſſerun-
gen mit.

Eh’ wir auseinander ſchieden, zeichnet’
ich noch ihr Schattenprofil, nahm’s mit in
mein Kloſet, und deutet’ es mit Huͤlfe des
Jdeals, das mir von der holden Dirn’ gar
anſchaulich vorſchwebt’ alſo: ein Geſicht
das ohne Praͤtenſion praͤtendirt, eine reine,
gute, in ſich ſelbſt wohnende Seele. Die
Stirn ſo Eindrucksfaͤhig, ſo ohn’ alles Ar-
ge. Die Naſe ſicherlich einer keuſchen edlen
iungfraͤulichen Seele wuͤrdig. Das Auge
hinſchmachtend in Wonnegefuͤhl unkoͤrperli-
cher Liebe. Das Ohr, beſonders im zarten
Sammetweichen Ohrlaͤpplein, hat viel Aus-
druck von Sanftheit. Empfindſamkeit und
weichmuͤthige Guͤte in der vorſtehenden
Oberlippe, ſo wie honigſuͤſſe Lieblichkeit im
Munde uͤberhaupt.

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G 4
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[103/0109] Sie mußt uns ihre Geſchichte noch ein- mal in pleno erzaͤhlen, und ihre Gebehr- den verbuͤrgten mehr als beſchworne Auſſag’ dreyer Zeugen die reine goldlautere Wahr- heit ihrer Wort’ und Reden. Denn ihr ganzes Geſicht iſt Stempel kindlicher Un- ſchuld und Aufrichtigkeit, und theilt das Gepraͤge derſelben ieder ihrer Aeuſſerun- gen mit. Eh’ wir auseinander ſchieden, zeichnet’ ich noch ihr Schattenprofil, nahm’s mit in mein Kloſet, und deutet’ es mit Huͤlfe des Jdeals, das mir von der holden Dirn’ gar anſchaulich vorſchwebt’ alſo: ein Geſicht das ohne Praͤtenſion praͤtendirt, eine reine, gute, in ſich ſelbſt wohnende Seele. Die Stirn ſo Eindrucksfaͤhig, ſo ohn’ alles Ar- ge. Die Naſe ſicherlich einer keuſchen edlen iungfraͤulichen Seele wuͤrdig. Das Auge hinſchmachtend in Wonnegefuͤhl unkoͤrperli- cher Liebe. Das Ohr, beſonders im zarten Sammetweichen Ohrlaͤpplein, hat viel Aus- druck von Sanftheit. Empfindſamkeit und weichmuͤthige Guͤte in der vorſtehenden Oberlippe, ſo wie honigſuͤſſe Lieblichkeit im Munde uͤberhaupt. O du G 4

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/109>, abgerufen am 09.11.2024.