Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

deutlicher wird mir's, daß eine zwiefache
Ursach hievon obhanden sey.

Einmal sind die Theologen unsrer Kirch
auch Menschen wie wir andern, fühlen al-
so eben den Drang in ihrer Seel' wie die
Layen, sich aus der Dunkelheit empor zu
streben, große Lichter am Kirchenhimmel
zu werden und den Anstaunern sich durch
das zehnschuhige Sehrohr der Verherrlichung
als Stern' erster Größe zu präsentiren.
Dürft' nun keiner aus der vorgezeichneten
Bahn schreiten, so stünden sie von dem Au-
ge des Beschauers all' in gleichem Abstand'
ihr Glanz flöß zusammen wie der Schimmer
der Milchstraße, und keiner könnt am theo-
logischen Horizont wie der Sirius leuchten.
Daher das Ringen, Streben, Lauffen
nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit
in der Lehr', im Vortrag, in der Ausdeu-
tung des Glaubens, der geglaubet wird;
daher der Schnack von Schwärmerey, To-
leranz, Aberglauben und Predigerwesen,
der so viel Lungen in Othen, so viel Finger
der Schreiber in Bewegung und so viel Dru-
ckerpressen in Nahrung sezt, daher endlich
das ewige Zimmern, Mauren, Tünchen,
Pinseln und Verzieren des ganzen kirchlichen

Gebäu-
H

deutlicher wird mir’s, daß eine zwiefache
Urſach hievon obhanden ſey.

Einmal ſind die Theologen unſrer Kirch
auch Menſchen wie wir andern, fuͤhlen al-
ſo eben den Drang in ihrer Seel’ wie die
Layen, ſich aus der Dunkelheit empor zu
ſtreben, große Lichter am Kirchenhimmel
zu werden und den Anſtaunern ſich durch
das zehnſchuhige Sehrohr der Verherrlichung
als Stern’ erſter Groͤße zu praͤſentiren.
Duͤrft’ nun keiner aus der vorgezeichneten
Bahn ſchreiten, ſo ſtuͤnden ſie von dem Au-
ge des Beſchauers all’ in gleichem Abſtand’
ihr Glanz floͤß zuſammen wie der Schimmer
der Milchſtraße, und keiner koͤnnt am theo-
logiſchen Horizont wie der Sirius leuchten.
Daher das Ringen, Streben, Lauffen
nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit
in der Lehr’, im Vortrag, in der Ausdeu-
tung des Glaubens, der geglaubet wird;
daher der Schnack von Schwaͤrmerey, To-
leranz, Aberglauben und Predigerweſen,
der ſo viel Lungen in Othen, ſo viel Finger
der Schreiber in Bewegung und ſo viel Dru-
ckerpreſſen in Nahrung ſezt, daher endlich
das ewige Zimmern, Mauren, Tuͤnchen,
Pinſeln und Verzieren des ganzen kirchlichen

Gebaͤu-
H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="113"/>
deutlicher wird mir&#x2019;s, daß eine zwiefache<lb/>
Ur&#x017F;ach hievon obhanden &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Einmal &#x017F;ind die Theologen un&#x017F;rer Kirch<lb/>
auch Men&#x017F;chen wie wir andern, fu&#x0364;hlen al-<lb/>
&#x017F;o eben den Drang in ihrer Seel&#x2019; wie die<lb/>
Layen, &#x017F;ich aus der Dunkelheit empor zu<lb/>
&#x017F;treben, große Lichter am Kirchenhimmel<lb/>
zu werden und den An&#x017F;taunern &#x017F;ich durch<lb/>
das zehn&#x017F;chuhige Sehrohr der Verherrlichung<lb/>
als Stern&#x2019; er&#x017F;ter Gro&#x0364;ße zu pra&#x0364;&#x017F;entiren.<lb/>
Du&#x0364;rft&#x2019; nun keiner aus der vorgezeichneten<lb/>
Bahn &#x017F;chreiten, &#x017F;o &#x017F;tu&#x0364;nden &#x017F;ie von dem Au-<lb/>
ge des Be&#x017F;chauers all&#x2019; in gleichem Ab&#x017F;tand&#x2019;<lb/>
ihr Glanz flo&#x0364;ß zu&#x017F;ammen wie der Schimmer<lb/>
der Milch&#x017F;traße, und keiner ko&#x0364;nnt am theo-<lb/>
logi&#x017F;chen Horizont wie der Sirius leuchten.<lb/>
Daher das Ringen, Streben, Lauffen<lb/>
nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit<lb/>
in der Lehr&#x2019;, im Vortrag, in der Ausdeu-<lb/>
tung des Glaubens, der geglaubet wird;<lb/>
daher der Schnack von Schwa&#x0364;rmerey, To-<lb/>
leranz, Aberglauben und Predigerwe&#x017F;en,<lb/>
der &#x017F;o viel Lungen in Othen, &#x017F;o viel Finger<lb/>
der Schreiber in Bewegung und &#x017F;o viel Dru-<lb/>
ckerpre&#x017F;&#x017F;en in Nahrung &#x017F;ezt, daher endlich<lb/>
das ewige Zimmern, Mauren, Tu&#x0364;nchen,<lb/>
Pin&#x017F;eln und Verzieren des ganzen kirchlichen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H</fw><fw place="bottom" type="catch">Geba&#x0364;u-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0119] deutlicher wird mir’s, daß eine zwiefache Urſach hievon obhanden ſey. Einmal ſind die Theologen unſrer Kirch auch Menſchen wie wir andern, fuͤhlen al- ſo eben den Drang in ihrer Seel’ wie die Layen, ſich aus der Dunkelheit empor zu ſtreben, große Lichter am Kirchenhimmel zu werden und den Anſtaunern ſich durch das zehnſchuhige Sehrohr der Verherrlichung als Stern’ erſter Groͤße zu praͤſentiren. Duͤrft’ nun keiner aus der vorgezeichneten Bahn ſchreiten, ſo ſtuͤnden ſie von dem Au- ge des Beſchauers all’ in gleichem Abſtand’ ihr Glanz floͤß zuſammen wie der Schimmer der Milchſtraße, und keiner koͤnnt am theo- logiſchen Horizont wie der Sirius leuchten. Daher das Ringen, Streben, Lauffen nach Keckheit, Neuheit und Sonderlichkeit in der Lehr’, im Vortrag, in der Ausdeu- tung des Glaubens, der geglaubet wird; daher der Schnack von Schwaͤrmerey, To- leranz, Aberglauben und Predigerweſen, der ſo viel Lungen in Othen, ſo viel Finger der Schreiber in Bewegung und ſo viel Dru- ckerpreſſen in Nahrung ſezt, daher endlich das ewige Zimmern, Mauren, Tuͤnchen, Pinſeln und Verzieren des ganzen kirchlichen Gebaͤu- H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/119
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/119>, abgerufen am 21.11.2024.