Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Mein Großvater selger war ein Landsaß
wie ich; im ganzen Canton saß keiner so
warm und weich wie er. Da kützelt' ihn
die Eigenliebe mit einer Excellenz, begab
sich an Hof, diente par honneur, machte
zur Ehre seines Fürsten Schulden, haften
noch immer 10000 Thaler dieser alten
Sünden mit Lehnsherrlichem Consenz auf
dem Gute, und wurd' zu seiner großen Zu-
friedenheit als Excellenz verabschiedet.

Mein Gränznachbar der Kammerherr
von** meint' es sey eine herrliche Sach,
wenn er zwey Knöpf mehr auf dem Rock
trüg als ein anderer, ob er dafür gleich
zwey Güter weniger hätt. Der Wunsch
wurd' erfüllt, nun lebt er bey leerem Spei-
cher glüklicher mit dem Schlüssel, als vor-
her bey vollem ohne denselben.

Der große Blumist van der Dalen in
Harlem, fand, wie mein selger Vater zu
erzählen pflegt', eine Tulp' in einem Gar-
ten, die er in dem Seinen allein zu besi-
tzen glaubt', kaufte mit schwerem Geld
den Garten um der Blume willen, riß die
Zwiebel aus, zertrat sie, und gab darauf
noch den nämlichen Tag, den Garten mit
20000 Gulden Verlust an den ersten Be-

sitzer
M 2

Mein Großvater ſelger war ein Landſaß
wie ich; im ganzen Canton ſaß keiner ſo
warm und weich wie er. Da kuͤtzelt’ ihn
die Eigenliebe mit einer Excellenz, begab
ſich an Hof, diente par honneur, machte
zur Ehre ſeines Fuͤrſten Schulden, haften
noch immer 10000 Thaler dieſer alten
Suͤnden mit Lehnsherrlichem Conſenz auf
dem Gute, und wurd’ zu ſeiner großen Zu-
friedenheit als Excellenz verabſchiedet.

Mein Graͤnznachbar der Kammerherr
von** meint’ es ſey eine herrliche Sach,
wenn er zwey Knoͤpf mehr auf dem Rock
truͤg als ein anderer, ob er dafuͤr gleich
zwey Guͤter weniger haͤtt. Der Wunſch
wurd’ erfuͤllt, nun lebt er bey leerem Spei-
cher gluͤklicher mit dem Schluͤſſel, als vor-
her bey vollem ohne denſelben.

Der große Blumiſt van der Dalen in
Harlem, fand, wie mein ſelger Vater zu
erzaͤhlen pflegt’, eine Tulp’ in einem Gar-
ten, die er in dem Seinen allein zu beſi-
tzen glaubt’, kaufte mit ſchwerem Geld
den Garten um der Blume willen, riß die
Zwiebel aus, zertrat ſie, und gab darauf
noch den naͤmlichen Tag, den Garten mit
20000 Gulden Verluſt an den erſten Be-

ſitzer
M 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0185" n="179"/>
          <p>Mein Großvater &#x017F;elger war ein Land&#x017F;<lb/>
wie ich; im ganzen Canton &#x017F;aß keiner &#x017F;o<lb/>
warm und weich wie er. Da ku&#x0364;tzelt&#x2019; ihn<lb/>
die Eigenliebe mit einer Excellenz, begab<lb/>
&#x017F;ich an Hof, diente <hi rendition="#aq">par honneur,</hi> machte<lb/>
zur Ehre &#x017F;eines Fu&#x0364;r&#x017F;ten Schulden, haften<lb/>
noch immer 10000 Thaler die&#x017F;er alten<lb/>
Su&#x0364;nden mit Lehnsherrlichem Con&#x017F;enz auf<lb/>
dem Gute, und wurd&#x2019; zu &#x017F;einer großen Zu-<lb/>
friedenheit als Excellenz verab&#x017F;chiedet.</p><lb/>
          <p>Mein Gra&#x0364;nznachbar der Kammerherr<lb/>
von** meint&#x2019; es &#x017F;ey eine herrliche Sach,<lb/>
wenn er zwey Kno&#x0364;pf mehr auf dem Rock<lb/>
tru&#x0364;g als ein anderer, ob er dafu&#x0364;r gleich<lb/>
zwey Gu&#x0364;ter weniger ha&#x0364;tt. Der Wun&#x017F;ch<lb/>
wurd&#x2019; erfu&#x0364;llt, nun lebt er bey leerem Spei-<lb/>
cher glu&#x0364;klicher mit dem Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el, als vor-<lb/>
her bey vollem ohne den&#x017F;elben.</p><lb/>
          <p>Der große Blumi&#x017F;t van der Dalen in<lb/>
Harlem, fand, wie mein &#x017F;elger Vater zu<lb/>
erza&#x0364;hlen pflegt&#x2019;, eine Tulp&#x2019; in einem Gar-<lb/>
ten, die er in dem Seinen allein zu be&#x017F;i-<lb/>
tzen glaubt&#x2019;, kaufte mit &#x017F;chwerem Geld<lb/>
den Garten um der Blume willen, riß die<lb/>
Zwiebel aus, zertrat &#x017F;ie, und gab darauf<lb/>
noch den na&#x0364;mlichen Tag, den Garten mit<lb/>
20000 Gulden Verlu&#x017F;t an den er&#x017F;ten Be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;itzer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0185] Mein Großvater ſelger war ein Landſaß wie ich; im ganzen Canton ſaß keiner ſo warm und weich wie er. Da kuͤtzelt’ ihn die Eigenliebe mit einer Excellenz, begab ſich an Hof, diente par honneur, machte zur Ehre ſeines Fuͤrſten Schulden, haften noch immer 10000 Thaler dieſer alten Suͤnden mit Lehnsherrlichem Conſenz auf dem Gute, und wurd’ zu ſeiner großen Zu- friedenheit als Excellenz verabſchiedet. Mein Graͤnznachbar der Kammerherr von** meint’ es ſey eine herrliche Sach, wenn er zwey Knoͤpf mehr auf dem Rock truͤg als ein anderer, ob er dafuͤr gleich zwey Guͤter weniger haͤtt. Der Wunſch wurd’ erfuͤllt, nun lebt er bey leerem Spei- cher gluͤklicher mit dem Schluͤſſel, als vor- her bey vollem ohne denſelben. Der große Blumiſt van der Dalen in Harlem, fand, wie mein ſelger Vater zu erzaͤhlen pflegt’, eine Tulp’ in einem Gar- ten, die er in dem Seinen allein zu beſi- tzen glaubt’, kaufte mit ſchwerem Geld den Garten um der Blume willen, riß die Zwiebel aus, zertrat ſie, und gab darauf noch den naͤmlichen Tag, den Garten mit 20000 Gulden Verluſt an den erſten Be- ſitzer M 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/185
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/185>, abgerufen am 21.05.2024.