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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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unsichtbar gemacht? Lag mir die schlaue
Dirn' deßhalb so an, bey des Gerichtshal-
ters Mutter ihr Quartier in der Stadt zu
besehen, daß sie sich bey dieser Gelegenheit
aus'm Staub macht'? Hat keinen Fuß in
der ehrbaren Matron' Haus gesezt, ist un-
terwegs im Gasthaus an der Straß', von
einem irrenden Ritter weggekapert, wel-
ches, wie der Augenschein lehrt, ein abge-
legter Handel war. Wenn sie von mor-
lackischer Abkunft gewesen wär, sollt' mich
die freywillige Entführung nicht Wunder
nehmen, denn dort soll's Entführenlassen,
nach des Abbate Fortis Bemerkung, ein
Nationalfehler der iungen Dirnen seyn;
aber bey uns ists, denk ich, noch zur Zeit
nicht Sitt' im Lande. -- O du Schlang!
Hab ich das um dich verdient? Unter den
vierhundert und neun und dreißig Schlan-
genpräparaten des Petersburger Natura-
lienkabinets, dürfte schwerlich so eine be-
trügliche Paradiesschlange, wie du, anzu-
treffen seyn.

Sophie! Sophie! noch schmeichelt dein
Nam meinem Ohr; -- auch du hattest also
deinen Fischschwanz? Trugst den Schalk
im Herzen, den der Zauberreiz deiner Ge-

stalt

unſichtbar gemacht? Lag mir die ſchlaue
Dirn’ deßhalb ſo an, bey des Gerichtshal-
ters Mutter ihr Quartier in der Stadt zu
beſehen, daß ſie ſich bey dieſer Gelegenheit
aus’m Staub macht’? Hat keinen Fuß in
der ehrbaren Matron’ Haus geſezt, iſt un-
terwegs im Gaſthaus an der Straß’, von
einem irrenden Ritter weggekapert, wel-
ches, wie der Augenſchein lehrt, ein abge-
legter Handel war. Wenn ſie von mor-
lackiſcher Abkunft geweſen waͤr, ſollt’ mich
die freywillige Entfuͤhrung nicht Wunder
nehmen, denn dort ſoll’s Entfuͤhrenlaſſen,
nach des Abbate Fortis Bemerkung, ein
Nationalfehler der iungen Dirnen ſeyn;
aber bey uns iſts, denk ich, noch zur Zeit
nicht Sitt’ im Lande. — O du Schlang!
Hab ich das um dich verdient? Unter den
vierhundert und neun und dreißig Schlan-
genpraͤparaten des Petersburger Natura-
lienkabinets, duͤrfte ſchwerlich ſo eine be-
truͤgliche Paradiesſchlange, wie du, anzu-
treffen ſeyn.

Sophie! Sophie! noch ſchmeichelt dein
Nam meinem Ohr; — auch du hatteſt alſo
deinen Fiſchſchwanz? Trugſt den Schalk
im Herzen, den der Zauberreiz deiner Ge-

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[191/0197] unſichtbar gemacht? Lag mir die ſchlaue Dirn’ deßhalb ſo an, bey des Gerichtshal- ters Mutter ihr Quartier in der Stadt zu beſehen, daß ſie ſich bey dieſer Gelegenheit aus’m Staub macht’? Hat keinen Fuß in der ehrbaren Matron’ Haus geſezt, iſt un- terwegs im Gaſthaus an der Straß’, von einem irrenden Ritter weggekapert, wel- ches, wie der Augenſchein lehrt, ein abge- legter Handel war. Wenn ſie von mor- lackiſcher Abkunft geweſen waͤr, ſollt’ mich die freywillige Entfuͤhrung nicht Wunder nehmen, denn dort ſoll’s Entfuͤhrenlaſſen, nach des Abbate Fortis Bemerkung, ein Nationalfehler der iungen Dirnen ſeyn; aber bey uns iſts, denk ich, noch zur Zeit nicht Sitt’ im Lande. — O du Schlang! Hab ich das um dich verdient? Unter den vierhundert und neun und dreißig Schlan- genpraͤparaten des Petersburger Natura- lienkabinets, duͤrfte ſchwerlich ſo eine be- truͤgliche Paradiesſchlange, wie du, anzu- treffen ſeyn. Sophie! Sophie! noch ſchmeichelt dein Nam meinem Ohr; — auch du hatteſt alſo deinen Fiſchſchwanz? Trugſt den Schalk im Herzen, den der Zauberreiz deiner Ge- ſtalt

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/197>, abgerufen am 21.05.2024.