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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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ger, als wenn einer in unverschämter
Nacktheit am hellen Mittag' über den
Markt läuft und sich von den Leuten als
einen Wahnsinnigen anschreyen läßt.

Jeder Mensch hat einen gewissen ange-
wiesenen Beruf, eine Pfründe, ein Aemt-
gen oder so was. Spricht nun einer, daß
er sich diesem ganz widme, und weiter nichts
denkt noch vornimmt, der ist ein träger
Stier, der sein Joch schleppt, weil er muß,
und wenn er abgeschirrt ist nur fressen und
wiederkäuen kann; macht den Geschäftigen
und faulenzt im Grunde.

Ein Mensch der sich ein wenig fühlt, läßt
sich nicht in das Fach einsperren, worein
ihn der Zufall gestoßen hat, wie ein Vogel
im Käfich, der weiter keine Wahl hat, als
von einem Stänglein aufs andre zu hüp-
fen: sondern strebt den Radius seines Wir-
kungskraises zu verlängern; treibt neben
dem Nahrungsgeschäfte noch irgend ein Lieb-
lingsstudium, für welches der launige Ster-
ne den possierlichen Namen des Stecken-
pferdes erfand; seine Jünger aber haben
das arme Thier so herumgetummelt, daß
es nun lahm und unbrauchbar ist.

So
B 3

ger, als wenn einer in unverſchaͤmter
Nacktheit am hellen Mittag’ uͤber den
Markt laͤuft und ſich von den Leuten als
einen Wahnſinnigen anſchreyen laͤßt.

Jeder Menſch hat einen gewiſſen ange-
wieſenen Beruf, eine Pfruͤnde, ein Aemt-
gen oder ſo was. Spricht nun einer, daß
er ſich dieſem ganz widme, und weiter nichts
denkt noch vornimmt, der iſt ein traͤger
Stier, der ſein Joch ſchleppt, weil er muß,
und wenn er abgeſchirrt iſt nur freſſen und
wiederkaͤuen kann; macht den Geſchaͤftigen
und faulenzt im Grunde.

Ein Menſch der ſich ein wenig fuͤhlt, laͤßt
ſich nicht in das Fach einſperren, worein
ihn der Zufall geſtoßen hat, wie ein Vogel
im Kaͤfich, der weiter keine Wahl hat, als
von einem Staͤnglein aufs andre zu huͤp-
fen: ſondern ſtrebt den Radius ſeines Wir-
kungskraiſes zu verlaͤngern; treibt neben
dem Nahrungsgeſchaͤfte noch irgend ein Lieb-
lingsſtudium, fuͤr welches der launige Ster-
ne den poſſierlichen Namen des Stecken-
pferdes erfand; ſeine Juͤnger aber haben
das arme Thier ſo herumgetummelt, daß
es nun lahm und unbrauchbar iſt.

So
B 3
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[21/0027] ger, als wenn einer in unverſchaͤmter Nacktheit am hellen Mittag’ uͤber den Markt laͤuft und ſich von den Leuten als einen Wahnſinnigen anſchreyen laͤßt. Jeder Menſch hat einen gewiſſen ange- wieſenen Beruf, eine Pfruͤnde, ein Aemt- gen oder ſo was. Spricht nun einer, daß er ſich dieſem ganz widme, und weiter nichts denkt noch vornimmt, der iſt ein traͤger Stier, der ſein Joch ſchleppt, weil er muß, und wenn er abgeſchirrt iſt nur freſſen und wiederkaͤuen kann; macht den Geſchaͤftigen und faulenzt im Grunde. Ein Menſch der ſich ein wenig fuͤhlt, laͤßt ſich nicht in das Fach einſperren, worein ihn der Zufall geſtoßen hat, wie ein Vogel im Kaͤfich, der weiter keine Wahl hat, als von einem Staͤnglein aufs andre zu huͤp- fen: ſondern ſtrebt den Radius ſeines Wir- kungskraiſes zu verlaͤngern; treibt neben dem Nahrungsgeſchaͤfte noch irgend ein Lieb- lingsſtudium, fuͤr welches der launige Ster- ne den poſſierlichen Namen des Stecken- pferdes erfand; ſeine Juͤnger aber haben das arme Thier ſo herumgetummelt, daß es nun lahm und unbrauchbar iſt. So B 3

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/27>, abgerufen am 21.11.2024.