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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

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nichts leeres darinn übrig läßt, ein Gefühl
von Selbstzufriedenheit und überschwengli-
cher Wonnetrunkenheit; eine Verschwebtheit
der Seel' in die hohen Jdeale ihrer Be-
schauung, welche alle Sensationen von aus-
sen her verdunkelt, und denselben wie eine
eherne Mauer den anprallenden Wellen des
Oerans widersteht. Wie ich das all an
mir selbst empfunden hab in der süßen
schwärmerischen Stunde meiner Reverie;
auch theils vorher schon, seitdem mich der
physiognomische Enthusiasmus angewandelt
hat. Zweytens ist die Schwärmerey die
erste vegetative Grundkraft aller Wirksam-
keit und Thätigkeit des menschlichen Geistes.
Wo ist ohne Antrieb derselben irgend eine
Sach' von Wichtigkeit zu Stande gebracht
worden? Wer über die großen Weltbege-
benheiten spekulirt, findet immer den Urstoff
der wichtigsten Weltveränderungen in einem
schwärmerischen Kopf liegen, drum däucht

mich,

nichts leeres darinn uͤbrig laͤßt, ein Gefuͤhl
von Selbſtzufriedenheit und uͤberſchwengli-
cher Wonnetrunkenheit; eine Verſchwebtheit
der Seel’ in die hohen Jdeale ihrer Be-
ſchauung, welche alle Senſationen von auſ-
ſen her verdunkelt, und denſelben wie eine
eherne Mauer den anprallenden Wellen des
Oerans widerſteht. Wie ich das all an
mir ſelbſt empfunden hab in der ſuͤßen
ſchwaͤrmeriſchen Stunde meiner Réverie;
auch theils vorher ſchon, ſeitdem mich der
phyſiognomiſche Enthuſiaſmus angewandelt
hat. Zweytens iſt die Schwaͤrmerey die
erſte vegetative Grundkraft aller Wirkſam-
keit und Thaͤtigkeit des menſchlichen Geiſtes.
Wo iſt ohne Antrieb derſelben irgend eine
Sach’ von Wichtigkeit zu Stande gebracht
worden? Wer uͤber die großen Weltbege-
benheiten ſpekulirt, findet immer den Urſtoff
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[118/0118] nichts leeres darinn uͤbrig laͤßt, ein Gefuͤhl von Selbſtzufriedenheit und uͤberſchwengli- cher Wonnetrunkenheit; eine Verſchwebtheit der Seel’ in die hohen Jdeale ihrer Be- ſchauung, welche alle Senſationen von auſ- ſen her verdunkelt, und denſelben wie eine eherne Mauer den anprallenden Wellen des Oerans widerſteht. Wie ich das all an mir ſelbſt empfunden hab in der ſuͤßen ſchwaͤrmeriſchen Stunde meiner Réverie; auch theils vorher ſchon, ſeitdem mich der phyſiognomiſche Enthuſiaſmus angewandelt hat. Zweytens iſt die Schwaͤrmerey die erſte vegetative Grundkraft aller Wirkſam- keit und Thaͤtigkeit des menſchlichen Geiſtes. Wo iſt ohne Antrieb derſelben irgend eine Sach’ von Wichtigkeit zu Stande gebracht worden? Wer uͤber die großen Weltbege- benheiten ſpekulirt, findet immer den Urſtoff der wichtigſten Weltveraͤnderungen in einem ſchwaͤrmeriſchen Kopf liegen, drum daͤucht mich,

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/118>, abgerufen am 04.12.2024.