Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

poetischer Enthusiasmus heißt beym Franz-
mann auch Reverie, und davon sag ich,
daß sie ein Geschenk des Himmel sey, we-
gen des Wonnegefühls, womit sie das Herz
erfüllt. Drum ist der Enthusiasmus für
die feinen Wollüstlinge unsrer Zeit, die ihre
innre Sinnlichkeit so gern mit Empfindsam-
keit kützeln, ein so gangbarer Artickel; er-
hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe-
rische Verliebtheit in jedes Ding das ihnen
vorkommt, wärmt sie der Mondschein so
gut wie die Feuergluth eines Töpferofens,
und ihre süße Schwärmerey findet im Veil-
gen auf der Wiese so viel Nahrung, als
in der Sternensaat des nächtlichen Himmels.

Von allen Gefühlen aber ist für eine
reizbare Seele keins süßer als Schmerzens-
empfänglichkeit. Wenn einer ganz in sich
verschlossen, in einem melancholischen Hayn,
bey einer schauervollen Grabstätt', oder am
Fuß' einer schroffen Felsenwand, zerschellte

Hoff-
B

poetiſcher Enthuſiaſmus heißt beym Franz-
mann auch Réverie, und davon ſag ich,
daß ſie ein Geſchenk des Himmel ſey, we-
gen des Wonnegefuͤhls, womit ſie das Herz
erfuͤllt. Drum iſt der Enthuſiaſmus fuͤr
die feinen Wolluͤſtlinge unſrer Zeit, die ihre
innre Sinnlichkeit ſo gern mit Empfindſam-
keit kuͤtzeln, ein ſo gangbarer Artickel; er-
hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe-
riſche Verliebtheit in jedes Ding das ihnen
vorkommt, waͤrmt ſie der Mondſchein ſo
gut wie die Feuergluth eines Toͤpferofens,
und ihre ſuͤße Schwaͤrmerey findet im Veil-
gen auf der Wieſe ſo viel Nahrung, als
in der Sternenſaat des naͤchtlichen Himmels.

Von allen Gefuͤhlen aber iſt fuͤr eine
reizbare Seele keins ſuͤßer als Schmerzens-
empfaͤnglichkeit. Wenn einer ganz in ſich
verſchloſſen, in einem melancholiſchen Hayn,
bey einer ſchauervollen Grabſtaͤtt’, oder am
Fuß’ einer ſchroffen Felſenwand, zerſchellte

Hoff-
B
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="17"/>
poeti&#x017F;cher Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus heißt beym Franz-<lb/>
mann auch <hi rendition="#aq">Réverie,</hi> und davon &#x017F;ag ich,<lb/>
daß &#x017F;ie ein Ge&#x017F;chenk des Himmel &#x017F;ey, we-<lb/>
gen des Wonnegefu&#x0364;hls, womit &#x017F;ie das Herz<lb/>
erfu&#x0364;llt. Drum i&#x017F;t der Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus fu&#x0364;r<lb/>
die feinen Wollu&#x0364;&#x017F;tlinge un&#x017F;rer Zeit, die ihre<lb/>
innre Sinnlichkeit &#x017F;o gern mit Empfind&#x017F;am-<lb/>
keit ku&#x0364;tzeln, ein &#x017F;o gangbarer Artickel; er-<lb/>
hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe-<lb/>
ri&#x017F;che Verliebtheit in jedes Ding das ihnen<lb/>
vorkommt, wa&#x0364;rmt &#x017F;ie der Mond&#x017F;chein &#x017F;o<lb/>
gut wie die Feuergluth eines To&#x0364;pferofens,<lb/>
und ihre &#x017F;u&#x0364;ße Schwa&#x0364;rmerey findet im Veil-<lb/>
gen auf der Wie&#x017F;e &#x017F;o viel Nahrung, als<lb/>
in der Sternen&#x017F;aat des na&#x0364;chtlichen Himmels.</p><lb/>
        <p>Von allen Gefu&#x0364;hlen aber i&#x017F;t fu&#x0364;r eine<lb/>
reizbare Seele keins &#x017F;u&#x0364;ßer als Schmerzens-<lb/>
empfa&#x0364;nglichkeit. Wenn einer ganz in &#x017F;ich<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, in einem melancholi&#x017F;chen Hayn,<lb/>
bey einer &#x017F;chauervollen Grab&#x017F;ta&#x0364;tt&#x2019;, oder am<lb/>
Fuß&#x2019; einer &#x017F;chroffen Fel&#x017F;enwand, zer&#x017F;chellte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B</fw><fw place="bottom" type="catch">Hoff-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0017] poetiſcher Enthuſiaſmus heißt beym Franz- mann auch Réverie, und davon ſag ich, daß ſie ein Geſchenk des Himmel ſey, we- gen des Wonnegefuͤhls, womit ſie das Herz erfuͤllt. Drum iſt der Enthuſiaſmus fuͤr die feinen Wolluͤſtlinge unſrer Zeit, die ihre innre Sinnlichkeit ſo gern mit Empfindſam- keit kuͤtzeln, ein ſo gangbarer Artickel; er- hitzen die Empfindler ihr Blut durch aethe- riſche Verliebtheit in jedes Ding das ihnen vorkommt, waͤrmt ſie der Mondſchein ſo gut wie die Feuergluth eines Toͤpferofens, und ihre ſuͤße Schwaͤrmerey findet im Veil- gen auf der Wieſe ſo viel Nahrung, als in der Sternenſaat des naͤchtlichen Himmels. Von allen Gefuͤhlen aber iſt fuͤr eine reizbare Seele keins ſuͤßer als Schmerzens- empfaͤnglichkeit. Wenn einer ganz in ſich verſchloſſen, in einem melancholiſchen Hayn, bey einer ſchauervollen Grabſtaͤtt’, oder am Fuß’ einer ſchroffen Felſenwand, zerſchellte Hoff- B

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/17
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/17>, abgerufen am 21.11.2024.