Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

stiger Wind in die Seegel bläßt. Jst die
fade Süßlichkeit eines ununterbrochnen
Wohlstandes, das ewge Einerley der Gleich-
müthigkeit, das lästigste Ding unter der
Sonn'. Die bittern Kräuter sind freylich
nicht für jeden Gaumen; aber die wohlthä-
tige Natur hat dennoch Annehmlichkeiten
und Heilkräfte damit zu verbinden gewußt.
Mag wohl mancher Jsraelit das Maul ver-
zogen haben, wenn er die bittern Salsen
nach dem Gesetz hat käuen müssen, über
die ich mit dem Göttinger Murray im Streit
bin, welcher meynt, es seyen Rittersporn
gewesen; ich aber deut' das auf einen gu-
ten Löffelkraut-Salät.

Daß ein gewisser Grad der Schwermuth
die innre Sinnlichkeit gar fein kützel', setzt
die fleißige Lektür' der Wertherleiden, und
jede milde Zähre des empfindsamen Par-
terrs beym Spiel der tragischen Muse aus-
fer Zweifel. Wer weis ob die Freuden der

be-
B 2

ſtiger Wind in die Seegel blaͤßt. Jſt die
fade Suͤßlichkeit eines ununterbrochnen
Wohlſtandes, das ewge Einerley der Gleich-
muͤthigkeit, das laͤſtigſte Ding unter der
Sonn’. Die bittern Kraͤuter ſind freylich
nicht fuͤr jeden Gaumen; aber die wohlthaͤ-
tige Natur hat dennoch Annehmlichkeiten
und Heilkraͤfte damit zu verbinden gewußt.
Mag wohl mancher Jſraelit das Maul ver-
zogen haben, wenn er die bittern Salſen
nach dem Geſetz hat kaͤuen muͤſſen, uͤber
die ich mit dem Goͤttinger Murray im Streit
bin, welcher meynt, es ſeyen Ritterſporn
geweſen; ich aber deut’ das auf einen gu-
ten Loͤffelkraut-Salaͤt.

Daß ein gewiſſer Grad der Schwermuth
die innre Sinnlichkeit gar fein kuͤtzel’, ſetzt
die fleißige Lektuͤr’ der Wertherleiden, und
jede milde Zaͤhre des empfindſamen Par-
terrs beym Spiel der tragiſchen Muſe auſ-
fer Zweifel. Wer weis ob die Freuden der

be-
B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="19"/>
&#x017F;tiger Wind in die Seegel bla&#x0364;ßt. J&#x017F;t die<lb/>
fade Su&#x0364;ßlichkeit eines ununterbrochnen<lb/>
Wohl&#x017F;tandes, das ewge Einerley der Gleich-<lb/>
mu&#x0364;thigkeit, das la&#x0364;&#x017F;tig&#x017F;te Ding unter der<lb/>
Sonn&#x2019;. Die bittern Kra&#x0364;uter &#x017F;ind freylich<lb/>
nicht fu&#x0364;r jeden Gaumen; aber die wohltha&#x0364;-<lb/>
tige Natur hat dennoch Annehmlichkeiten<lb/>
und Heilkra&#x0364;fte damit zu verbinden gewußt.<lb/>
Mag wohl mancher J&#x017F;raelit das Maul ver-<lb/>
zogen haben, wenn er die bittern Sal&#x017F;en<lb/>
nach dem Ge&#x017F;etz hat ka&#x0364;uen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, u&#x0364;ber<lb/>
die ich mit dem Go&#x0364;ttinger Murray im Streit<lb/>
bin, welcher meynt, es &#x017F;eyen Ritter&#x017F;porn<lb/>
gewe&#x017F;en; ich aber deut&#x2019; das auf einen gu-<lb/>
ten Lo&#x0364;ffelkraut-Sala&#x0364;t.</p><lb/>
        <p>Daß ein gewi&#x017F;&#x017F;er Grad der Schwermuth<lb/>
die innre Sinnlichkeit gar fein ku&#x0364;tzel&#x2019;, &#x017F;etzt<lb/>
die fleißige Lektu&#x0364;r&#x2019; der Wertherleiden, und<lb/>
jede milde Za&#x0364;hre des empfind&#x017F;amen Par-<lb/>
terrs beym Spiel der tragi&#x017F;chen Mu&#x017F;e au&#x017F;-<lb/>
fer Zweifel. Wer weis ob die Freuden der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><fw place="bottom" type="catch">be-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0019] ſtiger Wind in die Seegel blaͤßt. Jſt die fade Suͤßlichkeit eines ununterbrochnen Wohlſtandes, das ewge Einerley der Gleich- muͤthigkeit, das laͤſtigſte Ding unter der Sonn’. Die bittern Kraͤuter ſind freylich nicht fuͤr jeden Gaumen; aber die wohlthaͤ- tige Natur hat dennoch Annehmlichkeiten und Heilkraͤfte damit zu verbinden gewußt. Mag wohl mancher Jſraelit das Maul ver- zogen haben, wenn er die bittern Salſen nach dem Geſetz hat kaͤuen muͤſſen, uͤber die ich mit dem Goͤttinger Murray im Streit bin, welcher meynt, es ſeyen Ritterſporn geweſen; ich aber deut’ das auf einen gu- ten Loͤffelkraut-Salaͤt. Daß ein gewiſſer Grad der Schwermuth die innre Sinnlichkeit gar fein kuͤtzel’, ſetzt die fleißige Lektuͤr’ der Wertherleiden, und jede milde Zaͤhre des empfindſamen Par- terrs beym Spiel der tragiſchen Muſe auſ- fer Zweifel. Wer weis ob die Freuden der be- B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/19
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/19>, abgerufen am 30.04.2024.