Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

guten Bericht zu geben. Denn wenn sichs
so in der That verhält, wie eben dieser
Skribent berichtet, daß der Dichter in sei-
ner Kraft das wunderbarste Geschöpf auf
Gottes Erdboden ist, daß seine Seele scheint
eine Menschenseel zu seyn und es doch nicht
ist, daß er von der Flamme des Himmels
durchglühet, scheint auf Erden zu leben,
und lebt im Aether, -- obgleich einige Na-
turkündiger den Aether für ein Unding hal-
ten: -- so ist leicht zu erachten, daß eine
Seel, die eigeutlich keine Meuschenseel ist, und
die nicht einmal auf Erden lebt, sondern oben
an der blauen Decke des Aethers wie eine
Schmeißfliege am Plofond des Speisege-
machs herumsumset, nicht einen wahren,
sondern nur einen scheinbaren menschlichen
Körper auszuspinnen vermögend sey.

Daher die Schwürigkeit Dichterphysio-
gnomien zu analysiren, zu beschreiben, oder
auch nur zu zeichnen. Wo hat je ein Dich-

ter

guten Bericht zu geben. Denn wenn ſichs
ſo in der That verhaͤlt, wie eben dieſer
Skribent berichtet, daß der Dichter in ſei-
ner Kraft das wunderbarſte Geſchoͤpf auf
Gottes Erdboden iſt, daß ſeine Seele ſcheint
eine Menſchenſeel zu ſeyn und es doch nicht
iſt, daß er von der Flamme des Himmels
durchgluͤhet, ſcheint auf Erden zu leben,
und lebt im Aether, — obgleich einige Na-
turkuͤndiger den Aether fuͤr ein Unding hal-
ten: — ſo iſt leicht zu erachten, daß eine
Seel, die eigeutlich keine Meuſchenſeel iſt, und
die nicht einmal auf Erden lebt, ſondern oben
an der blauen Decke des Aethers wie eine
Schmeißfliege am Plofond des Speiſege-
machs herumſumſet, nicht einen wahren,
ſondern nur einen ſcheinbaren menſchlichen
Koͤrper auszuſpinnen vermoͤgend ſey.

Daher die Schwuͤrigkeit Dichterphyſio-
gnomien zu analyſiren, zu beſchreiben, oder
auch nur zu zeichnen. Wo hat je ein Dich-

ter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="54"/>
guten Bericht zu geben. Denn wenn &#x017F;ichs<lb/>
&#x017F;o in der That verha&#x0364;lt, wie eben die&#x017F;er<lb/>
Skribent berichtet, daß der Dichter in &#x017F;ei-<lb/>
ner Kraft das wunderbar&#x017F;te Ge&#x017F;cho&#x0364;pf auf<lb/>
Gottes Erdboden i&#x017F;t, daß &#x017F;eine Seele &#x017F;cheint<lb/>
eine Men&#x017F;chen&#x017F;eel zu &#x017F;eyn und es doch nicht<lb/>
i&#x017F;t, daß er von der Flamme des Himmels<lb/>
durchglu&#x0364;het, &#x017F;cheint auf Erden zu leben,<lb/>
und lebt im Aether, &#x2014; obgleich einige Na-<lb/>
turku&#x0364;ndiger den Aether fu&#x0364;r ein Unding hal-<lb/>
ten: &#x2014; &#x017F;o i&#x017F;t leicht zu erachten, daß eine<lb/>
Seel, die eigeutlich keine Meu&#x017F;chen&#x017F;eel i&#x017F;t, und<lb/>
die nicht einmal auf Erden lebt, &#x017F;ondern oben<lb/>
an der blauen Decke des Aethers wie eine<lb/>
Schmeißfliege am Plofond des Spei&#x017F;ege-<lb/>
machs herum&#x017F;um&#x017F;et, nicht einen wahren,<lb/>
&#x017F;ondern nur einen &#x017F;cheinbaren men&#x017F;chlichen<lb/>
Ko&#x0364;rper auszu&#x017F;pinnen vermo&#x0364;gend &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p>Daher die Schwu&#x0364;rigkeit Dichterphy&#x017F;io-<lb/>
gnomien zu analy&#x017F;iren, zu be&#x017F;chreiben, oder<lb/>
auch nur zu zeichnen. Wo hat je ein Dich-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ter</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0054] guten Bericht zu geben. Denn wenn ſichs ſo in der That verhaͤlt, wie eben dieſer Skribent berichtet, daß der Dichter in ſei- ner Kraft das wunderbarſte Geſchoͤpf auf Gottes Erdboden iſt, daß ſeine Seele ſcheint eine Menſchenſeel zu ſeyn und es doch nicht iſt, daß er von der Flamme des Himmels durchgluͤhet, ſcheint auf Erden zu leben, und lebt im Aether, — obgleich einige Na- turkuͤndiger den Aether fuͤr ein Unding hal- ten: — ſo iſt leicht zu erachten, daß eine Seel, die eigeutlich keine Meuſchenſeel iſt, und die nicht einmal auf Erden lebt, ſondern oben an der blauen Decke des Aethers wie eine Schmeißfliege am Plofond des Speiſege- machs herumſumſet, nicht einen wahren, ſondern nur einen ſcheinbaren menſchlichen Koͤrper auszuſpinnen vermoͤgend ſey. Daher die Schwuͤrigkeit Dichterphyſio- gnomien zu analyſiren, zu beſchreiben, oder auch nur zu zeichnen. Wo hat je ein Dich- ter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/54
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 2. Altenburg, 1778, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen02_1778/54>, abgerufen am 21.05.2024.