Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeiten und Denkungsart der Menschen gut-
befinden. Eben so nachhaltig, laß ich mich
bedünken, sey auch die edle Scienz der Phy-
siognomik. Die vier Bänd' der Fragmen-
ten sind nur ein Atom, gegen den unerschöpf-
lichen Schatz von Theoremen, Bemerkun-
gen und Urtheilen, die über das Menschen-
angesicht, als Gypsaufgüß', Wachs- und
Schwefelpasten, mit unendlicher Verviel-
fältigung, und einen immer fort währenden
Ausdruck von Wahrheit, können hergeschüt-
tet und davon abgeformt werden. 'S kan
nicht fehlen, daß ieder physiognomische Pro-
dukt, so viel ihrer hienieden aus dem Hirn
der Gesichtsforscher dereinst noch hervor-
schlüpfen, mit einem Anschein von Wahr-
heit einher treten werde, wie die mannich-
faltigen Auslegungen des hohen Lieds, das
traun den Auslegern zu hoch ist; denn ich
vermein, Salomo habs in einer Anwande-
lung prophetischer Laune als ein Räthsel

verfaßt,
F 2

Zeiten und Denkungsart der Menſchen gut-
befinden. Eben ſo nachhaltig, laß ich mich
beduͤnken, ſey auch die edle Scienz der Phy-
ſiognomik. Die vier Baͤnd’ der Fragmen-
ten ſind nur ein Atom, gegen den unerſchoͤpf-
lichen Schatz von Theoremen, Bemerkun-
gen und Urtheilen, die uͤber das Menſchen-
angeſicht, als Gypsaufguͤß’, Wachs- und
Schwefelpaſten, mit unendlicher Verviel-
faͤltigung, und einen immer fort waͤhrenden
Ausdruck von Wahrheit, koͤnnen hergeſchuͤt-
tet und davon abgeformt werden. ’S kan
nicht fehlen, daß ieder phyſiognomiſche Pro-
dukt, ſo viel ihrer hienieden aus dem Hirn
der Geſichtsforſcher dereinſt noch hervor-
ſchluͤpfen, mit einem Anſchein von Wahr-
heit einher treten werde, wie die mannich-
faltigen Auslegungen des hohen Lieds, das
traun den Auslegern zu hoch iſt; denn ich
vermein, Salomo habs in einer Anwande-
lung prophetiſcher Laune als ein Raͤthſel

verfaßt,
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0083" n="83"/>
Zeiten und Denkungsart der Men&#x017F;chen gut-<lb/>
befinden. Eben &#x017F;o nachhaltig, laß ich mich<lb/>
bedu&#x0364;nken, &#x017F;ey auch die edle Scienz der Phy-<lb/>
&#x017F;iognomik. Die vier Ba&#x0364;nd&#x2019; der Fragmen-<lb/>
ten &#x017F;ind nur ein Atom, gegen den uner&#x017F;cho&#x0364;pf-<lb/>
lichen Schatz von Theoremen, Bemerkun-<lb/>
gen und Urtheilen, die u&#x0364;ber das Men&#x017F;chen-<lb/>
ange&#x017F;icht, als Gypsaufgu&#x0364;ß&#x2019;, Wachs- und<lb/>
Schwefelpa&#x017F;ten, mit unendlicher Verviel-<lb/>
fa&#x0364;ltigung, und einen immer fort wa&#x0364;hrenden<lb/>
Ausdruck von Wahrheit, ko&#x0364;nnen herge&#x017F;chu&#x0364;t-<lb/>
tet und davon abgeformt werden. &#x2019;S kan<lb/>
nicht fehlen, daß ieder phy&#x017F;iognomi&#x017F;che Pro-<lb/>
dukt, &#x017F;o viel ihrer hienieden aus dem Hirn<lb/>
der Ge&#x017F;ichtsfor&#x017F;cher derein&#x017F;t noch hervor-<lb/>
&#x017F;chlu&#x0364;pfen, mit einem An&#x017F;chein von Wahr-<lb/>
heit einher treten werde, wie die mannich-<lb/>
faltigen Auslegungen des hohen Lieds, das<lb/>
traun den Auslegern zu hoch i&#x017F;t; denn ich<lb/>
vermein, Salomo habs in einer Anwande-<lb/>
lung propheti&#x017F;cher Laune als ein Ra&#x0364;th&#x017F;el<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">verfaßt,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0083] Zeiten und Denkungsart der Menſchen gut- befinden. Eben ſo nachhaltig, laß ich mich beduͤnken, ſey auch die edle Scienz der Phy- ſiognomik. Die vier Baͤnd’ der Fragmen- ten ſind nur ein Atom, gegen den unerſchoͤpf- lichen Schatz von Theoremen, Bemerkun- gen und Urtheilen, die uͤber das Menſchen- angeſicht, als Gypsaufguͤß’, Wachs- und Schwefelpaſten, mit unendlicher Verviel- faͤltigung, und einen immer fort waͤhrenden Ausdruck von Wahrheit, koͤnnen hergeſchuͤt- tet und davon abgeformt werden. ’S kan nicht fehlen, daß ieder phyſiognomiſche Pro- dukt, ſo viel ihrer hienieden aus dem Hirn der Geſichtsforſcher dereinſt noch hervor- ſchluͤpfen, mit einem Anſchein von Wahr- heit einher treten werde, wie die mannich- faltigen Auslegungen des hohen Lieds, das traun den Auslegern zu hoch iſt; denn ich vermein, Salomo habs in einer Anwande- lung prophetiſcher Laune als ein Raͤthſel verfaßt, F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/83
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 3. Altenburg, 1779, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen03_1779/83>, abgerufen am 21.11.2024.