genossin versuchts oft, sich durch einen freundlichen Blick oder einen Leckerbissen ihm anzuschmeicheln; er verschlang beydes mit gleichem Kaltsinn. Lottchen, das aufblü- hende Mädchen, neigte ihr Haupt wie ei- ne Rose bey bänglicher schwüler Witterung, wenn Donnerwolken rings den Horizont um- ziehen. Jhre Schöne glänzte seit einigen Tagen nicht mehr, wie der freundliche Mond am Dunstfreyen Himmel in einer Sommer- nacht, sie warf nur noch einen bleichen Schimmer von sich, wie wenn der Mond einen Hof um sich hat, und auf veränder- lich Wetter deutet. Wenn ihr irgend wo- her ein Scharfblick begegnete, schlug sie verschämt die Augen nieder, und zupfte ein Band oder Schleifgen am Kleide zurechte, um ihre Verlegenheit damit zu bemänteln. Aber das sichtbare Hinschmachten ihrer Seel' voll Leidenskraft und Schmerzensempfäng- lichkeit, lieh dem reizenden Geschöpf un-
nenn-
genoſſin verſuchts oft, ſich durch einen freundlichen Blick oder einen Leckerbiſſen ihm anzuſchmeicheln; er verſchlang beydes mit gleichem Kaltſinn. Lottchen, das aufbluͤ- hende Maͤdchen, neigte ihr Haupt wie ei- ne Roſe bey baͤnglicher ſchwuͤler Witterung, wenn Donnerwolken rings den Horizont um- ziehen. Jhre Schoͤne glaͤnzte ſeit einigen Tagen nicht mehr, wie der freundliche Mond am Dunſtfreyen Himmel in einer Sommer- nacht, ſie warf nur noch einen bleichen Schimmer von ſich, wie wenn der Mond einen Hof um ſich hat, und auf veraͤnder- lich Wetter deutet. Wenn ihr irgend wo- her ein Scharfblick begegnete, ſchlug ſie verſchaͤmt die Augen nieder, und zupfte ein Band oder Schleifgen am Kleide zurechte, um ihre Verlegenheit damit zu bemaͤnteln. Aber das ſichtbare Hinſchmachten ihrer Seel’ voll Leidenskraft und Schmerzensempfaͤng- lichkeit, lieh dem reizenden Geſchoͤpf un-
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genoſſin verſuchts oft, ſich durch einen
freundlichen Blick oder einen Leckerbiſſen ihm
anzuſchmeicheln; er verſchlang beydes mit
gleichem Kaltſinn. Lottchen, das aufbluͤ-
hende Maͤdchen, neigte ihr Haupt wie ei-
ne Roſe bey baͤnglicher ſchwuͤler Witterung,
wenn Donnerwolken rings den Horizont um-
ziehen. Jhre Schoͤne glaͤnzte ſeit einigen
Tagen nicht mehr, wie der freundliche Mond
am Dunſtfreyen Himmel in einer Sommer-
nacht, ſie warf nur noch einen bleichen
Schimmer von ſich, wie wenn der Mond
einen Hof um ſich hat, und auf veraͤnder-
lich Wetter deutet. Wenn ihr irgend wo-
her ein Scharfblick begegnete, ſchlug ſie
verſchaͤmt die Augen nieder, und zupfte ein
Band oder Schleifgen am Kleide zurechte,
um ihre Verlegenheit damit zu bemaͤnteln.
Aber das ſichtbare Hinſchmachten ihrer Seel’
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/148>, abgerufen am 22.12.2024.
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