Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch befand mich, da meiner Komission
Gnüge geschehen war, in einer so köstlichen
Gemüthsruh, wie Dr. Bahrdt als er vor
Kaiser und Reich sein Glaubensbekenntniß
abgelegt hatte, wähnte so wenig als der
hochgelahrte Doktor, daß ich mich in mei-
ner Lehrmeinung könnte geirret haben, und
wurd urplözlich von meinem Trugurtheil
oculariter überführt. Hatte mir den Mor-
gen ein Hausirer allerley Galanteriekram
aufgehängt, welchen ich Lottchen unter dem
Prätert einer Prämie, weil sie sich im phy-
siognomischen Examen gut erhibiret, zuge-
dacht hatte. Trat in ihr Zimmer, sah
darinn niemand; aber an dem herabge-
lassenen innern Schleiervorhang über dem
ausgewölbten Fensterbogen, präsentirten sich
gar deutlich zwey Schattenbilder in Lebens-
größe en Profil, von den einfallenden Son-
nenstrahlen mit scharfem Kontur gezeichnet;
ein männliches und ein weibliches, die ein-

ander

Jch befand mich, da meiner Komiſſion
Gnuͤge geſchehen war, in einer ſo koͤſtlichen
Gemuͤthsruh, wie Dr. Bahrdt als er vor
Kaiſer und Reich ſein Glaubensbekenntniß
abgelegt hatte, waͤhnte ſo wenig als der
hochgelahrte Doktor, daß ich mich in mei-
ner Lehrmeinung koͤnnte geirret haben, und
wurd urploͤzlich von meinem Trugurtheil
oculariter uͤberfuͤhrt. Hatte mir den Mor-
gen ein Hauſirer allerley Galanteriekram
aufgehaͤngt, welchen ich Lottchen unter dem
Praͤtert einer Praͤmie, weil ſie ſich im phy-
ſiognomiſchen Examen gut erhibiret, zuge-
dacht hatte. Trat in ihr Zimmer, ſah
darinn niemand; aber an dem herabge-
laſſenen innern Schleiervorhang uͤber dem
ausgewoͤlbten Fenſterbogen, praͤſentirten ſich
gar deutlich zwey Schattenbilder in Lebens-
groͤße en Profil, von den einfallenden Son-
nenſtrahlen mit ſcharfem Kontur gezeichnet;
ein maͤnnliches und ein weibliches, die ein-

ander
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0228" n="220"/>
          <p>Jch befand mich, da meiner Komi&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
Gnu&#x0364;ge ge&#x017F;chehen war, in einer &#x017F;o ko&#x0364;&#x017F;tlichen<lb/>
Gemu&#x0364;thsruh, wie Dr. Bahrdt als er vor<lb/>
Kai&#x017F;er und Reich &#x017F;ein Glaubensbekenntniß<lb/>
abgelegt hatte, wa&#x0364;hnte &#x017F;o wenig als der<lb/>
hochgelahrte Doktor, daß ich mich in mei-<lb/>
ner Lehrmeinung ko&#x0364;nnte geirret haben, und<lb/>
wurd urplo&#x0364;zlich von meinem Trugurtheil<lb/>
oculariter u&#x0364;berfu&#x0364;hrt. <hi rendition="#fr">Hatte mir den Mor-</hi><lb/>
gen ein Hau&#x017F;irer allerley Galanteriekram<lb/>
aufgeha&#x0364;ngt, welchen ich Lottchen unter dem<lb/>
Pra&#x0364;tert einer Pra&#x0364;mie, weil &#x017F;ie &#x017F;ich im phy-<lb/>
&#x017F;iognomi&#x017F;chen Examen gut erhibiret, zuge-<lb/>
dacht hatte. Trat in ihr Zimmer, &#x017F;ah<lb/>
darinn niemand; aber an dem herabge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;enen innern Schleiervorhang u&#x0364;ber dem<lb/>
ausgewo&#x0364;lbten Fen&#x017F;terbogen, pra&#x0364;&#x017F;entirten &#x017F;ich<lb/>
gar deutlich zwey Schattenbilder in Lebens-<lb/>
gro&#x0364;ße <hi rendition="#aq">en Profil,</hi> von den einfallenden Son-<lb/>
nen&#x017F;trahlen mit &#x017F;charfem Kontur gezeichnet;<lb/>
ein ma&#x0364;nnliches und ein weibliches, die ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ander</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0228] Jch befand mich, da meiner Komiſſion Gnuͤge geſchehen war, in einer ſo koͤſtlichen Gemuͤthsruh, wie Dr. Bahrdt als er vor Kaiſer und Reich ſein Glaubensbekenntniß abgelegt hatte, waͤhnte ſo wenig als der hochgelahrte Doktor, daß ich mich in mei- ner Lehrmeinung koͤnnte geirret haben, und wurd urploͤzlich von meinem Trugurtheil oculariter uͤberfuͤhrt. Hatte mir den Mor- gen ein Hauſirer allerley Galanteriekram aufgehaͤngt, welchen ich Lottchen unter dem Praͤtert einer Praͤmie, weil ſie ſich im phy- ſiognomiſchen Examen gut erhibiret, zuge- dacht hatte. Trat in ihr Zimmer, ſah darinn niemand; aber an dem herabge- laſſenen innern Schleiervorhang uͤber dem ausgewoͤlbten Fenſterbogen, praͤſentirten ſich gar deutlich zwey Schattenbilder in Lebens- groͤße en Profil, von den einfallenden Son- nenſtrahlen mit ſcharfem Kontur gezeichnet; ein maͤnnliches und ein weibliches, die ein- ander

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/228
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/228>, abgerufen am 22.12.2024.