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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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Unter allen Kunstgenossen, sprach ich, zünf-
tigen und unzünftigen, so viel jemals un-
ter Gottes blauem Himmel existirt haben,
ist wohl keiner mit dem Studium der Men-
schenkenntniß so weit linker Hand gekom-
men, wie ich. Weiß nicht wie mir das
wiederfahren ist, trag doch meinen Kopf
auch zwischen beyden Ohren wie ein and-
rer gescheiter Mann. Wie oft bin ich ge-
täuscht, gefoppt, geprellt worden! Wie
oft hat mich eine Schurkenphysiognomie
erwärmt, und hingerissen, da ich indeß
vor den ehrlichen Mann zurückgeschaudert
bin. Jst die Schuld mein, so bin ich der
größte Dummkopf in Deutschland, obgleich
die Grundlinie meiner Stirn zur Perpen-
dikularhöhe ein gar feines Verhältniß hat,
und keinesweges um zwey Drittel zu kurz
ist. Fällt aber ein Theil der Schuld auf
die Kunst zurück, daß die mich irre gefüh-
ret hat, wies denn wohl seyn mag: so ists

ein

Unter allen Kunſtgenoſſen, ſprach ich, zuͤnf-
tigen und unzuͤnftigen, ſo viel jemals un-
ter Gottes blauem Himmel exiſtirt haben,
iſt wohl keiner mit dem Studium der Men-
ſchenkenntniß ſo weit linker Hand gekom-
men, wie ich. Weiß nicht wie mir das
wiederfahren iſt, trag doch meinen Kopf
auch zwiſchen beyden Ohren wie ein and-
rer geſcheiter Mann. Wie oft bin ich ge-
taͤuſcht, gefoppt, geprellt worden! Wie
oft hat mich eine Schurkenphyſiognomie
erwaͤrmt, und hingeriſſen, da ich indeß
vor den ehrlichen Mann zuruͤckgeſchaudert
bin. Jſt die Schuld mein, ſo bin ich der
groͤßte Dummkopf in Deutſchland, obgleich
die Grundlinie meiner Stirn zur Perpen-
dikularhoͤhe ein gar feines Verhaͤltniß hat,
und keinesweges um zwey Drittel zu kurz
iſt. Faͤllt aber ein Theil der Schuld auf
die Kunſt zuruͤck, daß die mich irre gefuͤh-
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[296/0304] Unter allen Kunſtgenoſſen, ſprach ich, zuͤnf- tigen und unzuͤnftigen, ſo viel jemals un- ter Gottes blauem Himmel exiſtirt haben, iſt wohl keiner mit dem Studium der Men- ſchenkenntniß ſo weit linker Hand gekom- men, wie ich. Weiß nicht wie mir das wiederfahren iſt, trag doch meinen Kopf auch zwiſchen beyden Ohren wie ein and- rer geſcheiter Mann. Wie oft bin ich ge- taͤuſcht, gefoppt, geprellt worden! Wie oft hat mich eine Schurkenphyſiognomie erwaͤrmt, und hingeriſſen, da ich indeß vor den ehrlichen Mann zuruͤckgeſchaudert bin. Jſt die Schuld mein, ſo bin ich der groͤßte Dummkopf in Deutſchland, obgleich die Grundlinie meiner Stirn zur Perpen- dikularhoͤhe ein gar feines Verhaͤltniß hat, und keinesweges um zwey Drittel zu kurz iſt. Faͤllt aber ein Theil der Schuld auf die Kunſt zuruͤck, daß die mich irre gefuͤh- ret hat, wies denn wohl ſeyn mag: ſo iſts ein

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/304>, abgerufen am 22.12.2024.