meisterlichen doch nicht zu Danke gemacht hat, sprach mit großer Gravität: Der La- vaterische Coder, den ich seiner innern Ord- nung und Einrichtung halber den physiogno- mischen Koran nenne, besagt in der neun- ten Sure des IV Tomus ausdrücklich, daß kein Maler ins physiognomische Heiligthum eingehe: die wenigsten Maler heißts am angezognen Orte sind Physiognomisten, die Wenigsten sag ich, weil ich nicht sagen darf: kein Einziger ists; aber doch sagen darf: ich kenne Keinen ders durchaus ist. Jn- zwischen suspen dir ich für den gegenwärti- gen Fall mein Jndicium gänzlich, und überlasse es dem Ermessen meiner Herrn Kollegen, was sie nach ihrer Gewissenhaf- tigkeit in diesem passu entscheiden werden. Der Künstler vertheidigte sich aber sehr gut, sprach: es gehe den meisten Malern wie den meisten Menschen, die Wenigsten wä- ren Physiognomen, weil er sich aus Beschei-
denheit,
meiſterlichen doch nicht zu Danke gemacht hat, ſprach mit großer Gravitaͤt: Der La- vateriſche Coder, den ich ſeiner innern Ord- nung und Einrichtung halber den phyſiogno- miſchen Koran nenne, beſagt in der neun- ten Sure des IV Tomus ausdruͤcklich, daß kein Maler ins phyſiognomiſche Heiligthum eingehe: die wenigſten Maler heißts am angezognen Orte ſind Phyſiognomiſten, die Wenigſten ſag ich, weil ich nicht ſagen darf: kein Einziger iſts; aber doch ſagen darf: ich kenne Keinen ders durchaus iſt. Jn- zwiſchen ſuſpen dir ich fuͤr den gegenwaͤrti- gen Fall mein Jndicium gaͤnzlich, und uͤberlaſſe es dem Ermeſſen meiner Herrn Kollegen, was ſie nach ihrer Gewiſſenhaf- tigkeit in dieſem paſſu entſcheiden werden. Der Kuͤnſtler vertheidigte ſich aber ſehr gut, ſprach: es gehe den meiſten Malern wie den meiſten Menſchen, die Wenigſten waͤ- ren Phyſiognomen, weil er ſich aus Beſchei-
denheit,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0037"n="29"/>
meiſterlichen doch nicht zu Danke gemacht<lb/>
hat, ſprach mit großer Gravitaͤt: Der La-<lb/>
vateriſche Coder, den ich ſeiner innern Ord-<lb/>
nung und Einrichtung halber den phyſiogno-<lb/>
miſchen Koran nenne, beſagt in der neun-<lb/>
ten Sure des <hirendition="#aq">IV</hi> Tomus ausdruͤcklich, daß<lb/>
kein Maler ins phyſiognomiſche Heiligthum<lb/>
eingehe: die wenigſten Maler heißts am<lb/>
angezognen Orte ſind Phyſiognomiſten, die<lb/>
Wenigſten ſag ich, weil ich nicht ſagen darf:<lb/>
kein Einziger iſts; aber doch ſagen darf:<lb/>
ich kenne Keinen ders durchaus iſt. Jn-<lb/>
zwiſchen ſuſpen dir ich fuͤr den gegenwaͤrti-<lb/>
gen Fall mein Jndicium gaͤnzlich, und<lb/>
uͤberlaſſe es dem Ermeſſen meiner Herrn<lb/>
Kollegen, was ſie nach ihrer Gewiſſenhaf-<lb/>
tigkeit in dieſem <hirendition="#aq">paſſu</hi> entſcheiden werden.<lb/>
Der Kuͤnſtler vertheidigte ſich aber ſehr gut,<lb/>ſprach: es gehe den meiſten Malern wie<lb/>
den meiſten Menſchen, die Wenigſten waͤ-<lb/>
ren Phyſiognomen, weil er ſich aus Beſchei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">denheit,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[29/0037]
meiſterlichen doch nicht zu Danke gemacht
hat, ſprach mit großer Gravitaͤt: Der La-
vateriſche Coder, den ich ſeiner innern Ord-
nung und Einrichtung halber den phyſiogno-
miſchen Koran nenne, beſagt in der neun-
ten Sure des IV Tomus ausdruͤcklich, daß
kein Maler ins phyſiognomiſche Heiligthum
eingehe: die wenigſten Maler heißts am
angezognen Orte ſind Phyſiognomiſten, die
Wenigſten ſag ich, weil ich nicht ſagen darf:
kein Einziger iſts; aber doch ſagen darf:
ich kenne Keinen ders durchaus iſt. Jn-
zwiſchen ſuſpen dir ich fuͤr den gegenwaͤrti-
gen Fall mein Jndicium gaͤnzlich, und
uͤberlaſſe es dem Ermeſſen meiner Herrn
Kollegen, was ſie nach ihrer Gewiſſenhaf-
tigkeit in dieſem paſſu entſcheiden werden.
Der Kuͤnſtler vertheidigte ſich aber ſehr gut,
ſprach: es gehe den meiſten Malern wie
den meiſten Menſchen, die Wenigſten waͤ-
ren Phyſiognomen, weil er ſich aus Beſchei-
denheit,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/37>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.