und gerade heute das anzuhören ist sehr störend. Die Andern sehen dabei so ruhig und freudig aus, als ob sie Recht hätten, und Fritz ist so voll von der Wahrheit, sein Gesicht leuchtet, und wie Gretchen so demüthig zu ihm aufschaut -- solche Blicke müssen sein Herz rühren.
Es schlug zwölf. Alle falteten die Hände, beug¬ ten sich zum Gebet. Auch Klärchen mußte so thun, aber in ihrem Herzen war es dunkle Nacht, der Teu¬ fel hielt seine Hand über sie. Fort, fort von hier! seufzte sie, und der Liebesbrief zog sie gewaltig hinaus aus dem Ernst und dem Frieden in die Lust und Un¬ ruhe der Welt.
Beim Heimgehen fand es sich, daß Frau Krauter mit den Andern einen Weg hatte, und nur Klärchen allein nach einer ganz entgegengesetzten Seite mußte; es wurde beschlossen, Fritz sollte sie nach Hause füh¬ ren. Sie aber sträubte sich, denn nichts wäre ihr drückender gewesen, als ein einsamer Weg mit diesem sonderbaren Menschen. Aber es half nichts. In der Sylvester-Nacht, wo der Trunkenbolde nicht wenige auf den Straßen zu finden sind, darf kein junges Mädchen allein gehen, hieß es, und Klärchen mußte sich fügen. Fritz war gar nicht verlegen, er hatte sich eben zu sehr in eine Gottes-Welt vertieft, als daß ihn die kleinen Bewegungen der irdischen Welt hätten berühren können. Er sah Klärchen ruhig und fest in die Augen und sprach zu ihr mit unbefangener Stimme: doch wehten außen Sturm und Regen so sehr, und Klärchen ging so rasch, daß er schweigen mußte. Jetzt standen sie vor der Hausthür. Klärchen nahm
und gerade heute das anzuhören iſt ſehr ſtörend. Die Andern ſehen dabei ſo ruhig und freudig aus, als ob ſie Recht hätten, und Fritz iſt ſo voll von der Wahrheit, ſein Geſicht leuchtet, und wie Gretchen ſo demüthig zu ihm aufſchaut — ſolche Blicke müſſen ſein Herz rühren.
Es ſchlug zwölf. Alle falteten die Hände, beug¬ ten ſich zum Gebet. Auch Klärchen mußte ſo thun, aber in ihrem Herzen war es dunkle Nacht, der Teu¬ fel hielt ſeine Hand über ſie. Fort, fort von hier! ſeufzte ſie, und der Liebesbrief zog ſie gewaltig hinaus aus dem Ernſt und dem Frieden in die Luſt und Un¬ ruhe der Welt.
Beim Heimgehen fand es ſich, daß Frau Krauter mit den Andern einen Weg hatte, und nur Klärchen allein nach einer ganz entgegengeſetzten Seite mußte; es wurde beſchloſſen, Fritz ſollte ſie nach Hauſe füh¬ ren. Sie aber ſträubte ſich, denn nichts wäre ihr drückender geweſen, als ein einſamer Weg mit dieſem ſonderbaren Menſchen. Aber es half nichts. In der Sylveſter-Nacht, wo der Trunkenbolde nicht wenige auf den Straßen zu finden ſind, darf kein junges Mädchen allein gehen, hieß es, und Klärchen mußte ſich fügen. Fritz war gar nicht verlegen, er hatte ſich eben zu ſehr in eine Gottes-Welt vertieft, als daß ihn die kleinen Bewegungen der irdiſchen Welt hätten berühren können. Er ſah Klärchen ruhig und feſt in die Augen und ſprach zu ihr mit unbefangener Stimme: doch wehten außen Sturm und Regen ſo ſehr, und Klärchen ging ſo raſch, daß er ſchweigen mußte. Jetzt ſtanden ſie vor der Hausthür. Klärchen nahm
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und gerade heute das anzuhören iſt ſehr ſtörend.
Die Andern ſehen dabei ſo ruhig und freudig aus,
als ob ſie Recht hätten, und Fritz iſt ſo voll von der
Wahrheit, ſein Geſicht leuchtet, und wie Gretchen ſo
demüthig zu ihm aufſchaut — ſolche Blicke müſſen ſein
Herz rühren.
Es ſchlug zwölf. Alle falteten die Hände, beug¬
ten ſich zum Gebet. Auch Klärchen mußte ſo thun,
aber in ihrem Herzen war es dunkle Nacht, der Teu¬
fel hielt ſeine Hand über ſie. Fort, fort von hier!
ſeufzte ſie, und der Liebesbrief zog ſie gewaltig hinaus
aus dem Ernſt und dem Frieden in die Luſt und Un¬
ruhe der Welt.
Beim Heimgehen fand es ſich, daß Frau Krauter
mit den Andern einen Weg hatte, und nur Klärchen
allein nach einer ganz entgegengeſetzten Seite mußte;
es wurde beſchloſſen, Fritz ſollte ſie nach Hauſe füh¬
ren. Sie aber ſträubte ſich, denn nichts wäre ihr
drückender geweſen, als ein einſamer Weg mit dieſem
ſonderbaren Menſchen. Aber es half nichts. In der
Sylveſter-Nacht, wo der Trunkenbolde nicht wenige
auf den Straßen zu finden ſind, darf kein junges
Mädchen allein gehen, hieß es, und Klärchen mußte
ſich fügen. Fritz war gar nicht verlegen, er hatte ſich
eben zu ſehr in eine Gottes-Welt vertieft, als daß
ihn die kleinen Bewegungen der irdiſchen Welt hätten
berühren können. Er ſah Klärchen ruhig und feſt in
die Augen und ſprach zu ihr mit unbefangener Stimme:
doch wehten außen Sturm und Regen ſo ſehr, und
Klärchen ging ſo raſch, daß er ſchweigen mußte.
Jetzt ſtanden ſie vor der Hausthür. Klärchen nahm
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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/48>, abgerufen am 16.07.2024.
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