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Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851.

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Bett mit trauriger Miene, der Dompfaff pickte eben
vergebens am zugefrorenen Trinknäpfchen.

Armer Schuster! schnarrte der Matz, als die
Thür sich öffnete, -- armer Schuster!

Benjamin's Nachtmütze bewegte sich jetzt, und sein
freundlich Gesicht kam zum Vorschein.

Dacht' ich's doch, daß Du kommen würdest, sagte
er zu Gretchen, und nun gieb erst den Vögeln Futter.
Dorthe ist schlechter Laune und ist seit gestern Abend
nicht herauf gekommen.

Gretchen sah sich nach ungefrorenem Wasser um,
aber vergebens; Fritz merkte, was sie suchte, und
verließ das Zimmer. Eilig kam er wieder mit einem
Töpfchen voll warmem Wasser und einer Schippe
Kohlen. Schweigend reichte er ihr das Wasser, schwei¬
gend machte er Feuer in den Ofen und sah dann,
wie Gretchen die Trinknäpfe der Vögel aufthaute, wie
sie ihnen frisches Futter gab, wie sie dem Benjamin
die Kissen zurechtlegte, ihm den Tisch vor dem Bette
deckte und die Suppe darauf stellte. Fritz sah sinnend
und traurig aus, und als Benjamin jetzt das Tisch¬
gebet sprach und Gretchen mit gefalteten Händen dabei
stand, faltete auch er die Hände und betete mit. Nach¬
dem sie geendet, trat er zu Benjamin, reichte ihm die
Hand und sagte mit bewegter Stimme:

Benjamin, verzeihe mir, daß ich Dich so vergessen
konnte, ich bin recht traurig darüber.

Benjamin nahm seine Hand in beide Hände und
drückte sie herzlich. Dann wandte sich Fritz zu Gretchen:

Verzeihe auch Du mir, Gretchen, ich schäme
mich vor Euch und vor Gott, daß ich so lieblos sein

Bett mit trauriger Miene, der Dompfaff pickte eben
vergebens am zugefrorenen Trinknäpfchen.

Armer Schuſter! ſchnarrte der Matz, als die
Thür ſich öffnete, — armer Schuſter!

Benjamin's Nachtmütze bewegte ſich jetzt, und ſein
freundlich Geſicht kam zum Vorſchein.

Dacht' ich's doch, daß Du kommen würdeſt, ſagte
er zu Gretchen, und nun gieb erſt den Vögeln Futter.
Dorthe iſt ſchlechter Laune und iſt ſeit geſtern Abend
nicht herauf gekommen.

Gretchen ſah ſich nach ungefrorenem Waſſer um,
aber vergebens; Fritz merkte, was ſie ſuchte, und
verließ das Zimmer. Eilig kam er wieder mit einem
Töpfchen voll warmem Waſſer und einer Schippe
Kohlen. Schweigend reichte er ihr das Waſſer, ſchwei¬
gend machte er Feuer in den Ofen und ſah dann,
wie Gretchen die Trinknäpfe der Vögel aufthaute, wie
ſie ihnen friſches Futter gab, wie ſie dem Benjamin
die Kiſſen zurechtlegte, ihm den Tiſch vor dem Bette
deckte und die Suppe darauf ſtellte. Fritz ſah ſinnend
und traurig aus, und als Benjamin jetzt das Tiſch¬
gebet ſprach und Gretchen mit gefalteten Händen dabei
ſtand, faltete auch er die Hände und betete mit. Nach¬
dem ſie geendet, trat er zu Benjamin, reichte ihm die
Hand und ſagte mit bewegter Stimme:

Benjamin, verzeihe mir, daß ich Dich ſo vergeſſen
konnte, ich bin recht traurig darüber.

Benjamin nahm ſeine Hand in beide Hände und
drückte ſie herzlich. Dann wandte ſich Fritz zu Gretchen:

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mich vor Euch und vor Gott, daß ich ſo lieblos ſein

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[60/0066] Bett mit trauriger Miene, der Dompfaff pickte eben vergebens am zugefrorenen Trinknäpfchen. Armer Schuſter! ſchnarrte der Matz, als die Thür ſich öffnete, — armer Schuſter! Benjamin's Nachtmütze bewegte ſich jetzt, und ſein freundlich Geſicht kam zum Vorſchein. Dacht' ich's doch, daß Du kommen würdeſt, ſagte er zu Gretchen, und nun gieb erſt den Vögeln Futter. Dorthe iſt ſchlechter Laune und iſt ſeit geſtern Abend nicht herauf gekommen. Gretchen ſah ſich nach ungefrorenem Waſſer um, aber vergebens; Fritz merkte, was ſie ſuchte, und verließ das Zimmer. Eilig kam er wieder mit einem Töpfchen voll warmem Waſſer und einer Schippe Kohlen. Schweigend reichte er ihr das Waſſer, ſchwei¬ gend machte er Feuer in den Ofen und ſah dann, wie Gretchen die Trinknäpfe der Vögel aufthaute, wie ſie ihnen friſches Futter gab, wie ſie dem Benjamin die Kiſſen zurechtlegte, ihm den Tiſch vor dem Bette deckte und die Suppe darauf ſtellte. Fritz ſah ſinnend und traurig aus, und als Benjamin jetzt das Tiſch¬ gebet ſprach und Gretchen mit gefalteten Händen dabei ſtand, faltete auch er die Hände und betete mit. Nach¬ dem ſie geendet, trat er zu Benjamin, reichte ihm die Hand und ſagte mit bewegter Stimme: Benjamin, verzeihe mir, daß ich Dich ſo vergeſſen konnte, ich bin recht traurig darüber. Benjamin nahm ſeine Hand in beide Hände und drückte ſie herzlich. Dann wandte ſich Fritz zu Gretchen: Verzeihe auch Du mir, Gretchen, ich ſchäme mich vor Euch und vor Gott, daß ich ſo lieblos ſein

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Zitationshilfe: Nathusius, Marie: Die Kammerjungfer. Eine Stadtgeschichte. Halle (Saale), 1851, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_kammerjungfer_1851/66>, abgerufen am 21.11.2024.