das unbedingt Gute, als welches allein eines solchen Einsatzes wert ist. Das hatte Sokrates im Sinn, wenn er meinte, dass die sittliche Einsicht an und für sich auch stark genug sei jeden Widerstand von seiten des Trieblebens zu brechen. Sie hat diese Kraft freilich nicht als blosse Einsicht, sondern sofern die das Bewusstsein ganz einnehmende Erkenntnis des einen Endziels zugleich dem Willen Einheit und damit konzen- trierteste Kraft giebt. Die so zusammengenommene Energie des Wollens vereint seine Kräfte zu einer Wirkung, die be- greiflich jeder Gegenwirkung vereinzelter Triebe überlegen ist. Wir verlangen daher vom Menschen, der der Gewalt seiner Triebe schlaff und ohne Gegenwehr hingegeben ist, dass er "sich zusammennehme"; genau dies ist das Eigentümliche der sittlichen Thatkraft. Dies Sich-zusammennehmen aber vollbringt schliesslich allein die konzentrierende Kraft der Einheit der Zielsetzung in der Idee des unbedingt Gesetzlichen, d. i. des Guten.
In ganzer Schärfe hat wiederum Plato dies Unterschei- dungsmerkmal der echten Tapferkeit erkannt. Was man ge- meinhin so nenne, der Einsatz der Person für ein beliebiges, bedingtes, empirisches Gut, wenn nicht gar für etwas in Wahr- heit Schlechtes, sei eigentlich Tapferkeit aus Furcht: man setze seine Person ein für irgend ein Nichtiges, das man zu verlieren fürchte, während in Wahrheit, nach sittlichem Urteil, sein Verlust gar nicht zu fürchten sei, wie Reichtum, Macht, äussere Ehre. Tapferkeit im echten, sittlichen Sinne sei nur der unbedingte Einsatz der Person für das unbedingt Gute, das, wie er sagt, die einzige Münze ist, gegen die man alles eintauschen sollte.
Nicht ohne Grund also sieht man die Probe der Tapfer- keit darin, jeder Gefahr, jedem Schmerz, namentlich aber dem Tode fest ins Auge zu sehen. Zwar kann auch die Festig- keit gegen Todesfurcht unsittliche Gründe haben; der elendeste Verbrecher dürfte in dieser vermeinten Tugend es mit dem sittlichen Heros aufnehmen. Je kleiner ein Mensch ist, desto kleiner ist auch der Heldenmut, sein Nichts wegzuwerfen, oft sozusagen für ein Butterbrot. Ein Edler wird vielleicht weniger
das unbedingt Gute, als welches allein eines solchen Einsatzes wert ist. Das hatte Sokrates im Sinn, wenn er meinte, dass die sittliche Einsicht an und für sich auch stark genug sei jeden Widerstand von seiten des Trieblebens zu brechen. Sie hat diese Kraft freilich nicht als blosse Einsicht, sondern sofern die das Bewusstsein ganz einnehmende Erkenntnis des einen Endziels zugleich dem Willen Einheit und damit konzen- trierteste Kraft giebt. Die so zusammengenommene Energie des Wollens vereint seine Kräfte zu einer Wirkung, die be- greiflich jeder Gegenwirkung vereinzelter Triebe überlegen ist. Wir verlangen daher vom Menschen, der der Gewalt seiner Triebe schlaff und ohne Gegenwehr hingegeben ist, dass er „sich zusammennehme“; genau dies ist das Eigentümliche der sittlichen Thatkraft. Dies Sich-zusammennehmen aber vollbringt schliesslich allein die konzentrierende Kraft der Einheit der Zielsetzung in der Idee des unbedingt Gesetzlichen, d. i. des Guten.
In ganzer Schärfe hat wiederum Plato dies Unterschei- dungsmerkmal der echten Tapferkeit erkannt. Was man ge- meinhin so nenne, der Einsatz der Person für ein beliebiges, bedingtes, empirisches Gut, wenn nicht gar für etwas in Wahr- heit Schlechtes, sei eigentlich Tapferkeit aus Furcht: man setze seine Person ein für irgend ein Nichtiges, das man zu verlieren fürchte, während in Wahrheit, nach sittlichem Urteil, sein Verlust gar nicht zu fürchten sei, wie Reichtum, Macht, äussere Ehre. Tapferkeit im echten, sittlichen Sinne sei nur der unbedingte Einsatz der Person für das unbedingt Gute, das, wie er sagt, die einzige Münze ist, gegen die man alles eintauschen sollte.
Nicht ohne Grund also sieht man die Probe der Tapfer- keit darin, jeder Gefahr, jedem Schmerz, namentlich aber dem Tode fest ins Auge zu sehen. Zwar kann auch die Festig- keit gegen Todesfurcht unsittliche Gründe haben; der elendeste Verbrecher dürfte in dieser vermeinten Tugend es mit dem sittlichen Heros aufnehmen. Je kleiner ein Mensch ist, desto kleiner ist auch der Heldenmut, sein Nichts wegzuwerfen, oft sozusagen für ein Butterbrot. Ein Edler wird vielleicht weniger
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das unbedingt Gute, als welches allein eines solchen Einsatzes
wert ist. Das hatte Sokrates im Sinn, wenn er meinte, dass
die sittliche Einsicht an und für sich auch stark genug sei
jeden Widerstand von seiten des Trieblebens zu brechen. Sie
hat diese Kraft freilich nicht als blosse Einsicht, sondern sofern
die das Bewusstsein ganz einnehmende Erkenntnis des einen
Endziels zugleich dem Willen Einheit und damit konzen-
trierteste Kraft giebt. Die so zusammengenommene Energie
des Wollens vereint seine Kräfte zu einer Wirkung, die be-
greiflich jeder Gegenwirkung vereinzelter Triebe überlegen ist.
Wir verlangen daher vom Menschen, der der Gewalt seiner
Triebe schlaff und ohne Gegenwehr hingegeben ist, dass er
„sich zusammennehme“; genau dies ist das Eigentümliche der
sittlichen Thatkraft. Dies Sich-zusammennehmen aber vollbringt
schliesslich allein die konzentrierende Kraft der Einheit der
Zielsetzung in der Idee des unbedingt Gesetzlichen, d. i.
des Guten.
In ganzer Schärfe hat wiederum Plato dies Unterschei-
dungsmerkmal der echten Tapferkeit erkannt. Was man ge-
meinhin so nenne, der Einsatz der Person für ein beliebiges,
bedingtes, empirisches Gut, wenn nicht gar für etwas in Wahr-
heit Schlechtes, sei eigentlich Tapferkeit aus Furcht: man
setze seine Person ein für irgend ein Nichtiges, das man zu
verlieren fürchte, während in Wahrheit, nach sittlichem Urteil,
sein Verlust gar nicht zu fürchten sei, wie Reichtum, Macht,
äussere Ehre. Tapferkeit im echten, sittlichen Sinne sei nur
der unbedingte Einsatz der Person für das unbedingt Gute,
das, wie er sagt, die einzige Münze ist, gegen die man alles
eintauschen sollte.
Nicht ohne Grund also sieht man die Probe der Tapfer-
keit darin, jeder Gefahr, jedem Schmerz, namentlich aber dem
Tode fest ins Auge zu sehen. Zwar kann auch die Festig-
keit gegen Todesfurcht unsittliche Gründe haben; der elendeste
Verbrecher dürfte in dieser vermeinten Tugend es mit dem
sittlichen Heros aufnehmen. Je kleiner ein Mensch ist, desto
kleiner ist auch der Heldenmut, sein Nichts wegzuwerfen, oft
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/119>, abgerufen am 24.11.2024.
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