die aktive Natur dieser Tugend in anderer Weise bei ihm zur Geltung, in ihrer Beziehung auf die aktive Energie des Trieb- lebens, auf den thumos. Er beschreibt darin nicht unrichtig die Wirkung der sittlichen Erhebung auf das Triebleben selbst, und zwar als aktiven Zustand, als edle Aufwallung für das Gute. Untriftig wäre es freilich, dieser Tugend geradezu ihren Sitz in einer so ganz dem Triebleben zugehörigen Ge- mütskraft anzuweisen; Plato selbst führt sie sonst, mit sokra- tischer Schroffheit, auf die Einsicht zurück. Wir vermeiden beide Abwege, indem wir sie dem Willen zuweisen, der zwischen Trieb und Einsicht in der Mitte steht, durch dessen Vermittlung sich der Einfluss der sittlichen Erkenntnis bis auf das Triebleben erstreckt. Denn dieses bietet überhaupt den Stoff, den der Wille, von der Vernunft geleitet, sittlich zu gestalten hat. Wollen heisst wesentlich: seinem sonst blinden Streben ein Objekt setzen, seine Triebkräfte auf eine Sache richten und dadurch einer festen, unausweichlichen Regel unterwerfen. Das ist nicht mehr thumos, es steht ungleich näher der sokratischen phronesis, die doch immer praktische Ver- nunft sein soll; aber es ist auch nicht an sich schon das sitt- lich Vernünftige, denn die Sache könnte schlecht, oder doch sittlich geringwertig sein. Doch bleibt diese strenge Unter- ordnung unter die Sache an sich ein wesentliches Moment der Tugend; und sie wird zur Tugend eben dann, wenn die Sache, für die ich mich einsetze, nicht bloss eine gute Sache, son- dern schlechthin das Gute ist. So wird die eigenartige Stellung der Tapferkeit im System der sittlichen Tugenden klar, während sie bei Plato bald nach der phronesis, bald (so auch in der angeführten Stelle) nach der sophrosune hinüber- schwankt. Richtig bleibt dennoch das Motiv, dass diese Tugend eine höchst positive und konkrete Beziehung auf die Aktivität auch in der unmittelbaren Form des Triebes hat; dass sie den Trieb selbst unmittelbar in den Dienst des sitt- lichen Willens stellt.
Diese Erwägung begründet zugleich, was übrigens nur kurzer Ausführung bedarf: dass auch diese Tugend sich, gleich der der Wahrheit, auf das Ganze der menschlichen Thätigkeit
die aktive Natur dieser Tugend in anderer Weise bei ihm zur Geltung, in ihrer Beziehung auf die aktive Energie des Trieb- lebens, auf den ϑυμός. Er beschreibt darin nicht unrichtig die Wirkung der sittlichen Erhebung auf das Triebleben selbst, und zwar als aktiven Zustand, als edle Aufwallung für das Gute. Untriftig wäre es freilich, dieser Tugend geradezu ihren Sitz in einer so ganz dem Triebleben zugehörigen Ge- mütskraft anzuweisen; Plato selbst führt sie sonst, mit sokra- tischer Schroffheit, auf die Einsicht zurück. Wir vermeiden beide Abwege, indem wir sie dem Willen zuweisen, der zwischen Trieb und Einsicht in der Mitte steht, durch dessen Vermittlung sich der Einfluss der sittlichen Erkenntnis bis auf das Triebleben erstreckt. Denn dieses bietet überhaupt den Stoff, den der Wille, von der Vernunft geleitet, sittlich zu gestalten hat. Wollen heisst wesentlich: seinem sonst blinden Streben ein Objekt setzen, seine Triebkräfte auf eine Sache richten und dadurch einer festen, unausweichlichen Regel unterwerfen. Das ist nicht mehr ϑυμός, es steht ungleich näher der sokratischen φϱόνησις, die doch immer praktische Ver- nunft sein soll; aber es ist auch nicht an sich schon das sitt- lich Vernünftige, denn die Sache könnte schlecht, oder doch sittlich geringwertig sein. Doch bleibt diese strenge Unter- ordnung unter die Sache an sich ein wesentliches Moment der Tugend; und sie wird zur Tugend eben dann, wenn die Sache, für die ich mich einsetze, nicht bloss eine gute Sache, son- dern schlechthin das Gute ist. So wird die eigenartige Stellung der Tapferkeit im System der sittlichen Tugenden klar, während sie bei Plato bald nach der φϱόνησις, bald (so auch in der angeführten Stelle) nach der σωφϱοσύνη hinüber- schwankt. Richtig bleibt dennoch das Motiv, dass diese Tugend eine höchst positive und konkrete Beziehung auf die Aktivität auch in der unmittelbaren Form des Triebes hat; dass sie den Trieb selbst unmittelbar in den Dienst des sitt- lichen Willens stellt.
Diese Erwägung begründet zugleich, was übrigens nur kurzer Ausführung bedarf: dass auch diese Tugend sich, gleich der der Wahrheit, auf das Ganze der menschlichen Thätigkeit
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die aktive Natur dieser Tugend in anderer Weise bei ihm zur
Geltung, in ihrer Beziehung auf die aktive Energie des Trieb-
lebens, auf den ϑυμός. Er beschreibt darin nicht unrichtig
die Wirkung der sittlichen Erhebung auf das Triebleben selbst,
und zwar als aktiven Zustand, als edle Aufwallung für das
Gute. Untriftig wäre es freilich, dieser Tugend geradezu
ihren Sitz in einer so ganz dem Triebleben zugehörigen Ge-
mütskraft anzuweisen; Plato selbst führt sie sonst, mit sokra-
tischer Schroffheit, auf die Einsicht zurück. Wir vermeiden
beide Abwege, indem wir sie dem Willen zuweisen, der
zwischen Trieb und Einsicht in der Mitte steht, durch dessen
Vermittlung sich der Einfluss der sittlichen Erkenntnis bis auf
das Triebleben erstreckt. Denn dieses bietet überhaupt den
Stoff, den der Wille, von der Vernunft geleitet, sittlich zu
gestalten hat. Wollen heisst wesentlich: seinem sonst blinden
Streben ein Objekt setzen, seine Triebkräfte auf eine Sache
richten und dadurch einer festen, unausweichlichen Regel
unterwerfen. Das ist nicht mehr ϑυμός, es steht ungleich
näher der sokratischen φϱόνησις, die doch immer praktische Ver-
nunft sein soll; aber es ist auch nicht an sich schon das sitt-
lich Vernünftige, denn die Sache könnte schlecht, oder doch
sittlich geringwertig sein. Doch bleibt diese strenge Unter-
ordnung unter die Sache an sich ein wesentliches Moment der
Tugend; und sie wird zur Tugend eben dann, wenn die Sache,
für die ich mich einsetze, nicht bloss eine gute Sache, son-
dern schlechthin das Gute ist. So wird die eigenartige
Stellung der Tapferkeit im System der sittlichen Tugenden
klar, während sie bei Plato bald nach der φϱόνησις, bald (so
auch in der angeführten Stelle) nach der σωφϱοσύνη hinüber-
schwankt. Richtig bleibt dennoch das Motiv, dass diese
Tugend eine höchst positive und konkrete Beziehung auf die
Aktivität auch in der unmittelbaren Form des Triebes hat;
dass sie den Trieb selbst unmittelbar in den Dienst des sitt-
lichen Willens stellt.
Diese Erwägung begründet zugleich, was übrigens nur
kurzer Ausführung bedarf: dass auch diese Tugend sich, gleich
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/123>, abgerufen am 25.11.2024.
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