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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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interessierten Schauens oder gläubigen Hinnehmens des Ueber-
lieferten oder auch des blossen Spielens der Phantasie das
bewusst vorwärtsstrebende, an der Bewältigung grosser, weit-
ausblickender Aufgaben sich stählende Lernen. Man vertraut
nicht mehr dem sinnlichen Schein, man fragt nach Begriff und
Grund; die straffere Disziplin des Denkens wird gesucht und
gern angenommen. Man will Wahrheit; zunächst die Wahr-
heit der Thatsache, die dann aber auch sich feststellen will im
Gesetz. Der kräftige Sachsinn dieses Alters passt zu seiner
ganzen Nichtempfindsamkeit, seiner scheinbar trockenen Ver-
nunftliebe. Es gehört schon Scharfblick oder genauerer Um-
gang dazu, um auf dem Boden dieses kühl erscheinenden Realis-
mus und Rationalismus doch etwas schon von dem Feuer jenes
Idealismus zu erkennen, der im Knaben gleichwohl nur schlum-
mert und nur des mächtigen Weckrufs bedarf, um im Jünglings-
alter sich in seiner ganzen Kraft zu entfalten, und dann nur
zu leicht alle sorglich errichteten Schranken des schlichten
Sachsinns zu durchbrechen.

Uebrigens fehlt auch diesem Alter nicht die phantastische
Zuthat; nur nimmt auch die Phantasie einen andern Charakter
an. Das Märchen und was auf gleicher Stufe steht, genügt
dem erwachten Wirklichkeitssinn nicht mehr, und der Idealismus
eigentlicher Kunst und Dichtung liegt noch ausser dem Ge-
sichtskreis. Man ist Prosaiker; vielleicht eifriger Mathematiker,
Physiker, Geograph, oder regelfester Grammatiker, thatsachen-
fester Geschichtsfreund. Aber doch kann die Phantasie es
nicht lassen, eine zweite Wirklichkeit, so recht nach eigenem
Bedarf, neben der nächstgegebenen und durch Unterricht er-
weiterten zu entwerfen; sei es, dass man auf Robinsons un-
sterblicher Insel sich heimisch macht oder auf Kriegspfaden
der Rothäute; das gefährliche Abenteuer ist die Leibspeise der
Phantasie für diese Stufe. Deshalb passt ihm so die wie für
dies Alter geschaffene Welt des Homer, Ilias wie Odyssee,
deren Helden fast wie unsterbliche Knaben handeln und reden.
Es ist ein richtiger Instinkt, der nun seit so langer Zeit für
diese Stufe der Bildung gerade diesen Lehrmeister gewählt hat.

Auch das Spiel des heranwachsenden Knaben (und Mädchens)

interessierten Schauens oder gläubigen Hinnehmens des Ueber-
lieferten oder auch des blossen Spielens der Phantasie das
bewusst vorwärtsstrebende, an der Bewältigung grosser, weit-
ausblickender Aufgaben sich stählende Lernen. Man vertraut
nicht mehr dem sinnlichen Schein, man fragt nach Begriff und
Grund; die straffere Disziplin des Denkens wird gesucht und
gern angenommen. Man will Wahrheit; zunächst die Wahr-
heit der Thatsache, die dann aber auch sich feststellen will im
Gesetz. Der kräftige Sachsinn dieses Alters passt zu seiner
ganzen Nichtempfindsamkeit, seiner scheinbar trockenen Ver-
nunftliebe. Es gehört schon Scharfblick oder genauerer Um-
gang dazu, um auf dem Boden dieses kühl erscheinenden Realis-
mus und Rationalismus doch etwas schon von dem Feuer jenes
Idealismus zu erkennen, der im Knaben gleichwohl nur schlum-
mert und nur des mächtigen Weckrufs bedarf, um im Jünglings-
alter sich in seiner ganzen Kraft zu entfalten, und dann nur
zu leicht alle sorglich errichteten Schranken des schlichten
Sachsinns zu durchbrechen.

Uebrigens fehlt auch diesem Alter nicht die phantastische
Zuthat; nur nimmt auch die Phantasie einen andern Charakter
an. Das Märchen und was auf gleicher Stufe steht, genügt
dem erwachten Wirklichkeitssinn nicht mehr, und der Idealismus
eigentlicher Kunst und Dichtung liegt noch ausser dem Ge-
sichtskreis. Man ist Prosaiker; vielleicht eifriger Mathematiker,
Physiker, Geograph, oder regelfester Grammatiker, thatsachen-
fester Geschichtsfreund. Aber doch kann die Phantasie es
nicht lassen, eine zweite Wirklichkeit, so recht nach eigenem
Bedarf, neben der nächstgegebenen und durch Unterricht er-
weiterten zu entwerfen; sei es, dass man auf Robinsons un-
sterblicher Insel sich heimisch macht oder auf Kriegspfaden
der Rothäute; das gefährliche Abenteuer ist die Leibspeise der
Phantasie für diese Stufe. Deshalb passt ihm so die wie für
dies Alter geschaffene Welt des Homer, Ilias wie Odyssee,
deren Helden fast wie unsterbliche Knaben handeln und reden.
Es ist ein richtiger Instinkt, der nun seit so langer Zeit für
diese Stufe der Bildung gerade diesen Lehrmeister gewählt hat.

Auch das Spiel des heranwachsenden Knaben (und Mädchens)

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[256/0272] interessierten Schauens oder gläubigen Hinnehmens des Ueber- lieferten oder auch des blossen Spielens der Phantasie das bewusst vorwärtsstrebende, an der Bewältigung grosser, weit- ausblickender Aufgaben sich stählende Lernen. Man vertraut nicht mehr dem sinnlichen Schein, man fragt nach Begriff und Grund; die straffere Disziplin des Denkens wird gesucht und gern angenommen. Man will Wahrheit; zunächst die Wahr- heit der Thatsache, die dann aber auch sich feststellen will im Gesetz. Der kräftige Sachsinn dieses Alters passt zu seiner ganzen Nichtempfindsamkeit, seiner scheinbar trockenen Ver- nunftliebe. Es gehört schon Scharfblick oder genauerer Um- gang dazu, um auf dem Boden dieses kühl erscheinenden Realis- mus und Rationalismus doch etwas schon von dem Feuer jenes Idealismus zu erkennen, der im Knaben gleichwohl nur schlum- mert und nur des mächtigen Weckrufs bedarf, um im Jünglings- alter sich in seiner ganzen Kraft zu entfalten, und dann nur zu leicht alle sorglich errichteten Schranken des schlichten Sachsinns zu durchbrechen. Uebrigens fehlt auch diesem Alter nicht die phantastische Zuthat; nur nimmt auch die Phantasie einen andern Charakter an. Das Märchen und was auf gleicher Stufe steht, genügt dem erwachten Wirklichkeitssinn nicht mehr, und der Idealismus eigentlicher Kunst und Dichtung liegt noch ausser dem Ge- sichtskreis. Man ist Prosaiker; vielleicht eifriger Mathematiker, Physiker, Geograph, oder regelfester Grammatiker, thatsachen- fester Geschichtsfreund. Aber doch kann die Phantasie es nicht lassen, eine zweite Wirklichkeit, so recht nach eigenem Bedarf, neben der nächstgegebenen und durch Unterricht er- weiterten zu entwerfen; sei es, dass man auf Robinsons un- sterblicher Insel sich heimisch macht oder auf Kriegspfaden der Rothäute; das gefährliche Abenteuer ist die Leibspeise der Phantasie für diese Stufe. Deshalb passt ihm so die wie für dies Alter geschaffene Welt des Homer, Ilias wie Odyssee, deren Helden fast wie unsterbliche Knaben handeln und reden. Es ist ein richtiger Instinkt, der nun seit so langer Zeit für diese Stufe der Bildung gerade diesen Lehrmeister gewählt hat. Auch das Spiel des heranwachsenden Knaben (und Mädchens)

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/272>, abgerufen am 21.11.2024.