Gegebensein für ein Ich ist durchaus nichts Eigentümliches zu erkennen; es ist für alles Gegebene unterschiedslos dasselbe, und überhaupt ohne besonderen Inhalt. Wohl aber zeigt sich ein Unterschied in der Art, wie die Erscheinungen sich auf- reihen und gleichsam zusammenstellen: einerseits als unmittel- bar im jeweiligen individuellen Bewusstsein einander folgend oder auch auf einmal vorhanden, in bunter, ungleichmässiger, scheinbar gesetzloser, chaotischer Zusammenwürfelung; ander- seits so, wie sie in jener gesetzlichen Ordnung, welche die "Natur" als Objekt unsrer Erkenntnis ausmacht, sich dar- stellen, oder vielmehr durch die Arbeit der Erkenntnis erst dargestellt werden. Diese Ordnung der als "Natur" erkannten Objekte ist zwar immer noch uns Bewusstes; aber es scheint doch, sagen wir, auf verschiedenen Stufen oder Höhen der Be- wusstheit dem Stoff nach dasselbe sich verschieden: zerstreuter, einheitlicher, in loserem, in festerem Zusammenhang, zu ordnen; und wenn in dieser Stufenfolge von Ordnungen das letzte Glied nach der einen, der Objektseite die sogenannte äussere, von uns losgelöst gedachte Wirklichkeit oder Natur ist, so steht dem als Aeusserstes nach der andern, der Subjektseite, unabgelöst von uns und unsrer Bewusstheit, ein letztes, unmittelbar Erscheinendes als gleichsam eine zweite, "innere" Welt gegenüber, die man die psychische nennt. Und diese muss sich auch irgendwie zur Erkenntnis bringen lassen, da wir sonst überhaupt nicht von ihr wissen würden.
Zwar die gemeinhin geltende Ansicht über das Verhält- nis des "Physischen" und "Psychischen" ist eine weit andre. Nach ihr würde es sich um zwei ursprünglich getrennte Er- scheinungsreihen handeln, von denen die zweite, psychisch genannte, nach im ganzen gleicher Methode wie die erste, die physische, zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, d. h. hinsichtlich der Gesetzmässigkeit des Auftretens der bezüg- lichen Erscheinungen in der Zeit zu untersuchen, und ent- weder in einer eigenen, rein aus dem Material des Psychischen konstruierten Kausalordnung, oder in einer und derselben mit den äusseren oder Naturerscheinungen, oder in einem ganz eigenartigen Verhältnis zu diesen, man nennt es Parallelismus,
Gegebensein für ein Ich ist durchaus nichts Eigentümliches zu erkennen; es ist für alles Gegebene unterschiedslos dasselbe, und überhaupt ohne besonderen Inhalt. Wohl aber zeigt sich ein Unterschied in der Art, wie die Erscheinungen sich auf- reihen und gleichsam zusammenstellen: einerseits als unmittel- bar im jeweiligen individuellen Bewusstsein einander folgend oder auch auf einmal vorhanden, in bunter, ungleichmässiger, scheinbar gesetzloser, chaotischer Zusammenwürfelung; ander- seits so, wie sie in jener gesetzlichen Ordnung, welche die „Natur“ als Objekt unsrer Erkenntnis ausmacht, sich dar- stellen, oder vielmehr durch die Arbeit der Erkenntnis erst dargestellt werden. Diese Ordnung der als „Natur“ erkannten Objekte ist zwar immer noch uns Bewusstes; aber es scheint doch, sagen wir, auf verschiedenen Stufen oder Höhen der Be- wusstheit dem Stoff nach dasselbe sich verschieden: zerstreuter, einheitlicher, in loserem, in festerem Zusammenhang, zu ordnen; und wenn in dieser Stufenfolge von Ordnungen das letzte Glied nach der einen, der Objektseite die sogenannte äussere, von uns losgelöst gedachte Wirklichkeit oder Natur ist, so steht dem als Aeusserstes nach der andern, der Subjektseite, unabgelöst von uns und unsrer Bewusstheit, ein letztes, unmittelbar Erscheinendes als gleichsam eine zweite, „innere“ Welt gegenüber, die man die psychische nennt. Und diese muss sich auch irgendwie zur Erkenntnis bringen lassen, da wir sonst überhaupt nicht von ihr wissen würden.
Zwar die gemeinhin geltende Ansicht über das Verhält- nis des „Physischen“ und „Psychischen“ ist eine weit andre. Nach ihr würde es sich um zwei ursprünglich getrennte Er- scheinungsreihen handeln, von denen die zweite, psychisch genannte, nach im ganzen gleicher Methode wie die erste, die physische, zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, d. h. hinsichtlich der Gesetzmässigkeit des Auftretens der bezüg- lichen Erscheinungen in der Zeit zu untersuchen, und ent- weder in einer eigenen, rein aus dem Material des Psychischen konstruierten Kausalordnung, oder in einer und derselben mit den äusseren oder Naturerscheinungen, oder in einem ganz eigenartigen Verhältnis zu diesen, man nennt es Parallelismus,
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Gegebensein für ein Ich ist durchaus nichts Eigentümliches zu
erkennen; es ist für alles Gegebene unterschiedslos dasselbe,
und überhaupt ohne besonderen Inhalt. Wohl aber zeigt sich
ein Unterschied in der Art, wie die Erscheinungen sich auf-
reihen und gleichsam zusammenstellen: einerseits als unmittel-
bar im jeweiligen individuellen Bewusstsein einander folgend
oder auch auf einmal vorhanden, in bunter, ungleichmässiger,
scheinbar gesetzloser, chaotischer Zusammenwürfelung; ander-
seits so, wie sie in jener gesetzlichen Ordnung, welche die
„Natur“ als Objekt unsrer Erkenntnis ausmacht, sich dar-
stellen, oder vielmehr durch die Arbeit der Erkenntnis erst
dargestellt werden. Diese Ordnung der als „Natur“ erkannten
Objekte ist zwar immer noch uns Bewusstes; aber es scheint
doch, sagen wir, auf verschiedenen Stufen oder Höhen der Be-
wusstheit dem Stoff nach dasselbe sich verschieden: zerstreuter,
einheitlicher, in loserem, in festerem Zusammenhang, zu ordnen;
und wenn in dieser Stufenfolge von Ordnungen das letzte
Glied nach der einen, der Objektseite die sogenannte äussere,
von uns losgelöst gedachte Wirklichkeit oder Natur ist, so
steht dem als Aeusserstes nach der andern, der Subjektseite,
unabgelöst von uns und unsrer Bewusstheit, ein letztes,
unmittelbar Erscheinendes als gleichsam eine zweite, „innere“
Welt gegenüber, die man die psychische nennt. Und diese
muss sich auch irgendwie zur Erkenntnis bringen lassen, da
wir sonst überhaupt nicht von ihr wissen würden.
Zwar die gemeinhin geltende Ansicht über das Verhält-
nis des „Physischen“ und „Psychischen“ ist eine weit andre.
Nach ihr würde es sich um zwei ursprünglich getrennte Er-
scheinungsreihen handeln, von denen die zweite, psychisch
genannte, nach im ganzen gleicher Methode wie die erste, die
physische, zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, d. h.
hinsichtlich der Gesetzmässigkeit des Auftretens der bezüg-
lichen Erscheinungen in der Zeit zu untersuchen, und ent-
weder in einer eigenen, rein aus dem Material des Psychischen
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/28>, abgerufen am 21.11.2024.
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