darzustellen wäre. Eine solche doppelte Reihe der Erschei- nungen giebt es, wie mir scheint, nicht.*) Denn nichts, was irgend ein Inhalt des Bewusstseins oder Erscheinung für uns ist, ist etwa nicht, hinsichtlich der Gesetzlichkeit seines zeitlichen Auftretens, in die Ordnung der Natur einzubeziehen; andrerseits nichts noch so gegenständlich Gedachtes entbehrt der andern Beziehung auf das Bewusstsein, dem es gegeben ist, und auf das unmittelbar diesem Gegebene, aus dem es ge- staltet worden. Bloss eine ist die Ordnung des ursprünglich Erscheinenden, bloss einzig vorhanden die Gesetzesordnung dieses selben Erscheinenden, welche "Natur" heisst. Nur erhält das- selbe, was in einer Hinsicht Erscheinung des Gegenstands, nämlich der Natur genannt wird, noch eine eigentümliche Benen- nung in jener andern Beziehung, die es auf das Bewusstsein hat, dem es Erscheinung ist; es fügt sich auf Grund dieser Beziehung in ein andres Begriffssystem ein, etwa als Empfin- dung, Vorstellung, Gedanke. Und diese neue Benennung ist auch nicht ohne eigenen Inhalt; sie weist hin auf eine eigene, gleichsam Innenansicht desselben Materials, dessen Aussen- ansicht die Natur ist. Und somit bleibt, auch wenn man eine besondere psychische Erscheinungsreihe und eine be- sondere psychische Kausalität nicht anerkennen kann, immer- hin eine eigene Art der Erkenntnis eines und desselben Er- scheinenden übrig, welche, als die einzige eigentümliche Er- kenntnis des Psychischen, Psychologie heissen kann.
So wie so aber hat man es in Naturwissenschaft wie Psychologie lediglich mit Erscheinungen in der Zeit zu thun. Diese unterliegen als solche der Ordnung der Ursachen, aber nicht der Zwecke. Ein Ursprung des Zweckbegriffes lässt sich soweit noch gar nicht absehen. Er ergiebt sich nicht aus der naturwissenschaftlichen, er ergiebt sich ebenso wenig aus jener psychologischen Erkenntnis, die nur die Innen- ansicht derselben Erscheinungen darstellt, deren Aussenansicht Naturwissenschaft heisst; er ergäbe sich auch nicht nach der
*) Zur näheren Begründung vgl. des Verf. "Einleitung in die Psy- chologie nach kritischer Methode". (Freiburg, Mohr, 1888.)
darzustellen wäre. Eine solche doppelte Reihe der Erschei- nungen giebt es, wie mir scheint, nicht.*) Denn nichts, was irgend ein Inhalt des Bewusstseins oder Erscheinung für uns ist, ist etwa nicht, hinsichtlich der Gesetzlichkeit seines zeitlichen Auftretens, in die Ordnung der Natur einzubeziehen; andrerseits nichts noch so gegenständlich Gedachtes entbehrt der andern Beziehung auf das Bewusstsein, dem es gegeben ist, und auf das unmittelbar diesem Gegebene, aus dem es ge- staltet worden. Bloss eine ist die Ordnung des ursprünglich Erscheinenden, bloss einzig vorhanden die Gesetzesordnung dieses selben Erscheinenden, welche „Natur“ heisst. Nur erhält das- selbe, was in einer Hinsicht Erscheinung des Gegenstands, nämlich der Natur genannt wird, noch eine eigentümliche Benen- nung in jener andern Beziehung, die es auf das Bewusstsein hat, dem es Erscheinung ist; es fügt sich auf Grund dieser Beziehung in ein andres Begriffssystem ein, etwa als Empfin- dung, Vorstellung, Gedanke. Und diese neue Benennung ist auch nicht ohne eigenen Inhalt; sie weist hin auf eine eigene, gleichsam Innenansicht desselben Materials, dessen Aussen- ansicht die Natur ist. Und somit bleibt, auch wenn man eine besondere psychische Erscheinungsreihe und eine be- sondere psychische Kausalität nicht anerkennen kann, immer- hin eine eigene Art der Erkenntnis eines und desselben Er- scheinenden übrig, welche, als die einzige eigentümliche Er- kenntnis des Psychischen, Psychologie heissen kann.
So wie so aber hat man es in Naturwissenschaft wie Psychologie lediglich mit Erscheinungen in der Zeit zu thun. Diese unterliegen als solche der Ordnung der Ursachen, aber nicht der Zwecke. Ein Ursprung des Zweckbegriffes lässt sich soweit noch gar nicht absehen. Er ergiebt sich nicht aus der naturwissenschaftlichen, er ergiebt sich ebenso wenig aus jener psychologischen Erkenntnis, die nur die Innen- ansicht derselben Erscheinungen darstellt, deren Aussenansicht Naturwissenschaft heisst; er ergäbe sich auch nicht nach der
*) Zur näheren Begründung vgl. des Verf. „Einleitung in die Psy- chologie nach kritischer Methode“. (Freiburg, Mohr, 1888.)
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darzustellen wäre. Eine solche doppelte Reihe der Erschei-
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irgend ein Inhalt des Bewusstseins oder Erscheinung für uns
ist, ist etwa nicht, hinsichtlich der Gesetzlichkeit seines
zeitlichen Auftretens, in die Ordnung der Natur einzubeziehen;
andrerseits nichts noch so gegenständlich Gedachtes entbehrt
der andern Beziehung auf das Bewusstsein, dem es gegeben
ist, und auf das unmittelbar diesem Gegebene, aus dem es ge-
staltet worden. Bloss eine ist die Ordnung des ursprünglich
Erscheinenden, bloss einzig vorhanden die Gesetzesordnung dieses
selben Erscheinenden, welche „Natur“ heisst. Nur erhält das-
selbe, was in einer Hinsicht Erscheinung des Gegenstands,
nämlich der Natur genannt wird, noch eine eigentümliche Benen-
nung in jener andern Beziehung, die es auf das Bewusstsein
hat, dem es Erscheinung ist; es fügt sich auf Grund dieser
Beziehung in ein andres Begriffssystem ein, etwa als Empfin-
dung, Vorstellung, Gedanke. Und diese neue Benennung ist
auch nicht ohne eigenen Inhalt; sie weist hin auf eine eigene,
gleichsam Innenansicht desselben Materials, dessen Aussen-
ansicht die Natur ist. Und somit bleibt, auch wenn man
eine besondere psychische Erscheinungsreihe und eine be-
sondere psychische Kausalität nicht anerkennen kann, immer-
hin eine eigene Art der Erkenntnis eines und desselben Er-
scheinenden übrig, welche, als die einzige eigentümliche Er-
kenntnis des Psychischen, Psychologie heissen kann.
So wie so aber hat man es in Naturwissenschaft wie
Psychologie lediglich mit Erscheinungen in der Zeit zu
thun. Diese unterliegen als solche der Ordnung der Ursachen,
aber nicht der Zwecke. Ein Ursprung des Zweckbegriffes
lässt sich soweit noch gar nicht absehen. Er ergiebt sich
nicht aus der naturwissenschaftlichen, er ergiebt sich ebenso
wenig aus jener psychologischen Erkenntnis, die nur die Innen-
ansicht derselben Erscheinungen darstellt, deren Aussenansicht
Naturwissenschaft heisst; er ergäbe sich auch nicht nach der
*) Zur näheren Begründung vgl. des Verf. „Einleitung in die Psy-
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/29>, abgerufen am 21.11.2024.
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