muss die ihr eigentümliche bildende Wirkung doch wohl eben da entfalten, wo sie am meisten Sprache ist, d. h. aufs innigste sich dem wirklichen Vorstellungslauf anschmiegt, in dem eine Ablösung des Logischen nicht stattfindet noch stattfinden soll. Infolge dieser unlöslichen Komplikation der drei Grundelemente der Bildung fördert das Studium der Sprache direkt weit mehr psychologisches als logisches oder etwa ethisches oder ästhetisches Verständnis. Sie enthält Elemente aller drei Gebiete in grösstem Reichtum und in einer unmittelbar dem Leben des Geistes erwachsenen Form wie kein andres Lernfach; sie ist daher unerschöpflich an Problemen in jeder dieser Richtungen und noch besonders in der Vereinigung ihrer aller. Aber eine bis zum Grunde dringende Bearbeitung dieser Probleme erfordert eine analytische Arbeit, die im Studium der Sprache selbst gar nicht liegt, fast ihm widerstrebt; die dagegen ganz anders vorbereitet und (wenngleich nur nach einer, der logischen Seite) direkt eingeleitet wird durch Mathematik und Naturwissen- schaft, und welche ganz eigentlich die Aufgabe der Philosophie ist; zu der es aber wiederum keinen Zugang giebt als durch Mathematik und Naturwissenschaft. Das ist in der einseitigen Verfechtung der überkommenen Zentralstellung der Sprachen im Jugendunterricht (zumal dem höhern) überaus oft verkannt, und dadurch die gerechte Sache nicht wenig geschädigt worden.
Denn gerecht bleibt die Sache selbst. Man empfindet richtig, dass dem Sprachunterricht eine universale Bedeutung zukommt wie keinem andern. Er stellt ein gemeinsames Ele- ment dar, in welchem alle wesentlichen Faktoren der Bildung sich begegnen und zu durchdringen trachten. An der Sprach- bildung ist, wie es von den Pädagogen oftmals ausgeführt worden ist, einerseits aller Unterricht beteiligt, denn der Unter- richt jedes Fachs vermag je in Hinsicht seines besonderen Gegenstandes das Sachverständnis nur zugleich mit dem Sprach- verständnis zu entwickeln. Umgekehrt entnimmt der Sprach- unterricht seinen Stoff allem sonstigen Unterricht. Er bringt also die natürlichste und nächstliegende "Konzentration" des gesamten Unterrichts zuwege, und hat zu solcher gedient, lange bevor dies Schlagwort der Herbartianer geprägt war,
muss die ihr eigentümliche bildende Wirkung doch wohl eben da entfalten, wo sie am meisten Sprache ist, d. h. aufs innigste sich dem wirklichen Vorstellungslauf anschmiegt, in dem eine Ablösung des Logischen nicht stattfindet noch stattfinden soll. Infolge dieser unlöslichen Komplikation der drei Grundelemente der Bildung fördert das Studium der Sprache direkt weit mehr psychologisches als logisches oder etwa ethisches oder ästhetisches Verständnis. Sie enthält Elemente aller drei Gebiete in grösstem Reichtum und in einer unmittelbar dem Leben des Geistes erwachsenen Form wie kein andres Lernfach; sie ist daher unerschöpflich an Problemen in jeder dieser Richtungen und noch besonders in der Vereinigung ihrer aller. Aber eine bis zum Grunde dringende Bearbeitung dieser Probleme erfordert eine analytische Arbeit, die im Studium der Sprache selbst gar nicht liegt, fast ihm widerstrebt; die dagegen ganz anders vorbereitet und (wenngleich nur nach einer, der logischen Seite) direkt eingeleitet wird durch Mathematik und Naturwissen- schaft, und welche ganz eigentlich die Aufgabe der Philosophie ist; zu der es aber wiederum keinen Zugang giebt als durch Mathematik und Naturwissenschaft. Das ist in der einseitigen Verfechtung der überkommenen Zentralstellung der Sprachen im Jugendunterricht (zumal dem höhern) überaus oft verkannt, und dadurch die gerechte Sache nicht wenig geschädigt worden.
Denn gerecht bleibt die Sache selbst. Man empfindet richtig, dass dem Sprachunterricht eine universale Bedeutung zukommt wie keinem andern. Er stellt ein gemeinsames Ele- ment dar, in welchem alle wesentlichen Faktoren der Bildung sich begegnen und zu durchdringen trachten. An der Sprach- bildung ist, wie es von den Pädagogen oftmals ausgeführt worden ist, einerseits aller Unterricht beteiligt, denn der Unter- richt jedes Fachs vermag je in Hinsicht seines besonderen Gegenstandes das Sachverständnis nur zugleich mit dem Sprach- verständnis zu entwickeln. Umgekehrt entnimmt der Sprach- unterricht seinen Stoff allem sonstigen Unterricht. Er bringt also die natürlichste und nächstliegende „Konzentration“ des gesamten Unterrichts zuwege, und hat zu solcher gedient, lange bevor dies Schlagwort der Herbartianer geprägt war,
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muss die ihr eigentümliche bildende Wirkung doch wohl eben
da entfalten, wo sie am meisten Sprache ist, d. h. aufs innigste
sich dem wirklichen Vorstellungslauf anschmiegt, in dem eine
Ablösung des Logischen nicht stattfindet noch stattfinden soll.
Infolge dieser unlöslichen Komplikation der drei Grundelemente
der Bildung fördert das Studium der Sprache direkt weit mehr
psychologisches als logisches oder etwa ethisches oder ästhetisches
Verständnis. Sie enthält Elemente aller drei Gebiete in grösstem
Reichtum und in einer unmittelbar dem Leben des Geistes
erwachsenen Form wie kein andres Lernfach; sie ist daher
unerschöpflich an Problemen in jeder dieser Richtungen und
noch besonders in der Vereinigung ihrer aller. Aber eine bis
zum Grunde dringende Bearbeitung dieser Probleme erfordert
eine analytische Arbeit, die im Studium der Sprache selbst
gar nicht liegt, fast ihm widerstrebt; die dagegen ganz anders
vorbereitet und (wenngleich nur nach einer, der logischen Seite)
direkt eingeleitet wird durch Mathematik und Naturwissen-
schaft, und welche ganz eigentlich die Aufgabe der Philosophie
ist; zu der es aber wiederum keinen Zugang giebt als durch
Mathematik und Naturwissenschaft. Das ist in der einseitigen
Verfechtung der überkommenen Zentralstellung der Sprachen
im Jugendunterricht (zumal dem höhern) überaus oft verkannt,
und dadurch die gerechte Sache nicht wenig geschädigt worden.
Denn gerecht bleibt die Sache selbst. Man empfindet
richtig, dass dem Sprachunterricht eine universale Bedeutung
zukommt wie keinem andern. Er stellt ein gemeinsames Ele-
ment dar, in welchem alle wesentlichen Faktoren der Bildung
sich begegnen und zu durchdringen trachten. An der Sprach-
bildung ist, wie es von den Pädagogen oftmals ausgeführt
worden ist, einerseits aller Unterricht beteiligt, denn der Unter-
richt jedes Fachs vermag je in Hinsicht seines besonderen
Gegenstandes das Sachverständnis nur zugleich mit dem Sprach-
verständnis zu entwickeln. Umgekehrt entnimmt der Sprach-
unterricht seinen Stoff allem sonstigen Unterricht. Er bringt
also die natürlichste und nächstliegende „Konzentration“ des
gesamten Unterrichts zuwege, und hat zu solcher gedient,
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/300>, abgerufen am 21.11.2024.
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