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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899.

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schliesslich allein ankommt, und nicht auf den "Vortrag", der
"des Redners Glück" ist. Auch abgesehen von allem "Ethi-
schen" ist Erzählung, Schilderung, Vortrag einmal nicht der
Erkenntnisweg für geschichtliche Wahrheit, ganz so wenig wie
für irgend welche andre.

Aber der notwendige Kampf gegen diese gefährliche Zeit-
krankheit soll uns nicht dagegen verblenden -- was von andern
Seiten wieder verkannt wird --, dass doch dem Geschichts-
unterricht eine hohe Bedeutung gerade in ethischer Hinsicht
zukommt. Geschichte ist nach einer Seite Kausalforschung,
und diese Seite bedurfte, weitgehender Verkennung gegenüber,
einer nachdrücklichen Hervorhebung. Allein Geschichte steht
andrerseits unter dem Zeichen der Idee und zwar zuletzt der
sittlichen Idee. Geschichte kann schliesslich nicht anders als
auf sittlichem Grunde begriffen werden, wie konkrete Sittlich-
keit nicht anders als auf geschichtlichem Grunde; das erkennen
wir ganz an.

Geschichte, sagten wir, sei so viel als möglich natura-
listisch zu begreifen. Der Mensch und die Menschheit sind,
insofern es sich um Kausalität handelt, nach Spinoza nicht
"Staat im Staate", sondern in der Einheit der "Natur" mit-
begriffen. Allein Geschichte der Menschheit kann nicht
bloss naturalistisch begriffen werden. Denn zwischen Mensch
und Mensch, Mensch und Volk, Volk und Volk, und schliess-
lich zwischen beiden und der Menschheit bestehen noch andre
als bloss Kausalbeziehungen, nämlich Willensbeziehungen, folg-
lich Ideenbezüge. Solche können nur begriffen werden, indem
man sich selbst in ihnen begriffen erkennt, ja sie selber mit
dem Willen ergreift; also überhaupt nicht durch bloss theo-
retische, sondern durch eine selbst praktische, nämlich ethische
Erkenntnis. Es möchte an sich ein reines Naturgesetz mensch-
lichen Bedürfens, ja ein biologisches Gesetz sein, welches die
geschichtliche ebenso wie die naturhistorische Entwicklung
determiniert. Aber die geschichtliche Erkenntnis braucht auf
diese auch heute noch sehr nebelhafte, von erträglicher Veri-
fikation unermesslich weit entfernte Einsicht zum Glück nicht
zu warten. Die Notwendigkeit der geschichtlichen Entwick-

schliesslich allein ankommt, und nicht auf den „Vortrag“, der
„des Redners Glück“ ist. Auch abgesehen von allem „Ethi-
schen“ ist Erzählung, Schilderung, Vortrag einmal nicht der
Erkenntnisweg für geschichtliche Wahrheit, ganz so wenig wie
für irgend welche andre.

Aber der notwendige Kampf gegen diese gefährliche Zeit-
krankheit soll uns nicht dagegen verblenden — was von andern
Seiten wieder verkannt wird —, dass doch dem Geschichts-
unterricht eine hohe Bedeutung gerade in ethischer Hinsicht
zukommt. Geschichte ist nach einer Seite Kausalforschung,
und diese Seite bedurfte, weitgehender Verkennung gegenüber,
einer nachdrücklichen Hervorhebung. Allein Geschichte steht
andrerseits unter dem Zeichen der Idee und zwar zuletzt der
sittlichen Idee. Geschichte kann schliesslich nicht anders als
auf sittlichem Grunde begriffen werden, wie konkrete Sittlich-
keit nicht anders als auf geschichtlichem Grunde; das erkennen
wir ganz an.

Geschichte, sagten wir, sei so viel als möglich natura-
listisch zu begreifen. Der Mensch und die Menschheit sind,
insofern es sich um Kausalität handelt, nach Spinoza nicht
„Staat im Staate“, sondern in der Einheit der „Natur“ mit-
begriffen. Allein Geschichte der Menschheit kann nicht
bloss naturalistisch begriffen werden. Denn zwischen Mensch
und Mensch, Mensch und Volk, Volk und Volk, und schliess-
lich zwischen beiden und der Menschheit bestehen noch andre
als bloss Kausalbeziehungen, nämlich Willensbeziehungen, folg-
lich Ideenbezüge. Solche können nur begriffen werden, indem
man sich selbst in ihnen begriffen erkennt, ja sie selber mit
dem Willen ergreift; also überhaupt nicht durch bloss theo-
retische, sondern durch eine selbst praktische, nämlich ethische
Erkenntnis. Es möchte an sich ein reines Naturgesetz mensch-
lichen Bedürfens, ja ein biologisches Gesetz sein, welches die
geschichtliche ebenso wie die naturhistorische Entwicklung
determiniert. Aber die geschichtliche Erkenntnis braucht auf
diese auch heute noch sehr nebelhafte, von erträglicher Veri-
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[290/0306] schliesslich allein ankommt, und nicht auf den „Vortrag“, der „des Redners Glück“ ist. Auch abgesehen von allem „Ethi- schen“ ist Erzählung, Schilderung, Vortrag einmal nicht der Erkenntnisweg für geschichtliche Wahrheit, ganz so wenig wie für irgend welche andre. Aber der notwendige Kampf gegen diese gefährliche Zeit- krankheit soll uns nicht dagegen verblenden — was von andern Seiten wieder verkannt wird —, dass doch dem Geschichts- unterricht eine hohe Bedeutung gerade in ethischer Hinsicht zukommt. Geschichte ist nach einer Seite Kausalforschung, und diese Seite bedurfte, weitgehender Verkennung gegenüber, einer nachdrücklichen Hervorhebung. Allein Geschichte steht andrerseits unter dem Zeichen der Idee und zwar zuletzt der sittlichen Idee. Geschichte kann schliesslich nicht anders als auf sittlichem Grunde begriffen werden, wie konkrete Sittlich- keit nicht anders als auf geschichtlichem Grunde; das erkennen wir ganz an. Geschichte, sagten wir, sei so viel als möglich natura- listisch zu begreifen. Der Mensch und die Menschheit sind, insofern es sich um Kausalität handelt, nach Spinoza nicht „Staat im Staate“, sondern in der Einheit der „Natur“ mit- begriffen. Allein Geschichte der Menschheit kann nicht bloss naturalistisch begriffen werden. Denn zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Volk, Volk und Volk, und schliess- lich zwischen beiden und der Menschheit bestehen noch andre als bloss Kausalbeziehungen, nämlich Willensbeziehungen, folg- lich Ideenbezüge. Solche können nur begriffen werden, indem man sich selbst in ihnen begriffen erkennt, ja sie selber mit dem Willen ergreift; also überhaupt nicht durch bloss theo- retische, sondern durch eine selbst praktische, nämlich ethische Erkenntnis. Es möchte an sich ein reines Naturgesetz mensch- lichen Bedürfens, ja ein biologisches Gesetz sein, welches die geschichtliche ebenso wie die naturhistorische Entwicklung determiniert. Aber die geschichtliche Erkenntnis braucht auf diese auch heute noch sehr nebelhafte, von erträglicher Veri- fikation unermesslich weit entfernte Einsicht zum Glück nicht zu warten. Die Notwendigkeit der geschichtlichen Entwick-

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Zitationshilfe: Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/306>, abgerufen am 25.11.2024.