Einsicht dieser Verhältnisse handelt, alle jene neben der Sache hergehenden Gedanken, die nun existieren mögen oder nicht, überhaupt gar nichts an.
Am Inhalt aber sind das, was die logischen Gesetze ins Auge fassen, die allgemeinen Relationen eines jeden Inhalts. Logisches Denken ist Denken unter der Bedingung der Einstimmigkeit oder des durchgängigen Zusammenhanges des Gedachten, d. i. dasjenige Denken, in welchem das einzelne Gedachte zugleich mit seinen Relationen zu allem andern, wozu es eben in Relation steht, gedacht wird. Die möglichen Relationen des Gedachten systematisch zu entwickeln, ist die ganze, dem Begriff nach einfache, in der Ausführung sehr zu- sammengesetzte Aufgabe der Logik, allgemein der Erkenntnis- kritik. Darin sind die Fundamente des mathematischen wie des kausalen Denkens zugleich enthalten. Dagegen das, was man zum Ersten, Allbegründenden hat machen wollen: die Wirklichkeit der Thatsache, ist vielmehr erst das Letzte, worauf, insofern es sich um theoretische Erkenntnis handelt, dies alles schliesslich abzielt; es ist das Bedingteste, Ab- hängigste von allem, also die allerschlechteste Grundlage, die man nur wählen konnte zur Ableitung der logischen oder irgendwelcher andern allgemeinen Gesetzlichkeit der Erkenntnis.
Was ist aber mit diesem allen für unsere Absicht ge- wonnen? Ich denke, ein Grosses; nämlich dass wir einmal für immer befreit sind von der alles verengenden Auffassung, dass man nichts, als was durch die Zeit bedingt ist, zu denken vermöchte. Vielmehr zeigt sich alles Denken, das der Bedingung der Zeit unterliegt, abhängig von dem, welches den Bestand von Relationen unter Inhalten frei von Zeitbedingungen ins Auge fasst, von welcher Art das logische und das mathematische Denken ist. Also das an keine Zeit- bedingung sich bindende Denken ist das ursprüngliche, das Zeitdenken ist das abgeleitete. Der eigene Blickpunkt des denkenden Bewusstseins -- und nur denkendes Bewusstsein ist Bewusstsein im Vollsinn des Worts -- ist die Einheit, jene Einheit, in der das zeitlich Mannigfaltige eben dann sich ver-
Einsicht dieser Verhältnisse handelt, alle jene neben der Sache hergehenden Gedanken, die nun existieren mögen oder nicht, überhaupt gar nichts an.
Am Inhalt aber sind das, was die logischen Gesetze ins Auge fassen, die allgemeinen Relationen eines jeden Inhalts. Logisches Denken ist Denken unter der Bedingung der Einstimmigkeit oder des durchgängigen Zusammenhanges des Gedachten, d. i. dasjenige Denken, in welchem das einzelne Gedachte zugleich mit seinen Relationen zu allem andern, wozu es eben in Relation steht, gedacht wird. Die möglichen Relationen des Gedachten systematisch zu entwickeln, ist die ganze, dem Begriff nach einfache, in der Ausführung sehr zu- sammengesetzte Aufgabe der Logik, allgemein der Erkenntnis- kritik. Darin sind die Fundamente des mathematischen wie des kausalen Denkens zugleich enthalten. Dagegen das, was man zum Ersten, Allbegründenden hat machen wollen: die Wirklichkeit der Thatsache, ist vielmehr erst das Letzte, worauf, insofern es sich um theoretische Erkenntnis handelt, dies alles schliesslich abzielt; es ist das Bedingteste, Ab- hängigste von allem, also die allerschlechteste Grundlage, die man nur wählen konnte zur Ableitung der logischen oder irgendwelcher andern allgemeinen Gesetzlichkeit der Erkenntnis.
Was ist aber mit diesem allen für unsere Absicht ge- wonnen? Ich denke, ein Grosses; nämlich dass wir einmal für immer befreit sind von der alles verengenden Auffassung, dass man nichts, als was durch die Zeit bedingt ist, zu denken vermöchte. Vielmehr zeigt sich alles Denken, das der Bedingung der Zeit unterliegt, abhängig von dem, welches den Bestand von Relationen unter Inhalten frei von Zeitbedingungen ins Auge fasst, von welcher Art das logische und das mathematische Denken ist. Also das an keine Zeit- bedingung sich bindende Denken ist das ursprüngliche, das Zeitdenken ist das abgeleitete. Der eigene Blickpunkt des denkenden Bewusstseins — und nur denkendes Bewusstsein ist Bewusstsein im Vollsinn des Worts — ist die Einheit, jene Einheit, in der das zeitlich Mannigfaltige eben dann sich ver-
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Einsicht dieser Verhältnisse handelt, alle jene neben der Sache
hergehenden Gedanken, die nun existieren mögen oder nicht,
überhaupt gar nichts an.
Am Inhalt aber sind das, was die logischen Gesetze ins
Auge fassen, die allgemeinen Relationen eines jeden
Inhalts. Logisches Denken ist Denken unter der Bedingung
der Einstimmigkeit oder des durchgängigen Zusammenhanges
des Gedachten, d. i. dasjenige Denken, in welchem das einzelne
Gedachte zugleich mit seinen Relationen zu allem andern,
wozu es eben in Relation steht, gedacht wird. Die möglichen
Relationen des Gedachten systematisch zu entwickeln, ist die
ganze, dem Begriff nach einfache, in der Ausführung sehr zu-
sammengesetzte Aufgabe der Logik, allgemein der Erkenntnis-
kritik. Darin sind die Fundamente des mathematischen wie
des kausalen Denkens zugleich enthalten. Dagegen das, was
man zum Ersten, Allbegründenden hat machen wollen: die
Wirklichkeit der Thatsache, ist vielmehr erst das Letzte,
worauf, insofern es sich um theoretische Erkenntnis handelt,
dies alles schliesslich abzielt; es ist das Bedingteste, Ab-
hängigste von allem, also die allerschlechteste Grundlage,
die man nur wählen konnte zur Ableitung der logischen oder
irgendwelcher andern allgemeinen Gesetzlichkeit der
Erkenntnis.
Was ist aber mit diesem allen für unsere Absicht ge-
wonnen? Ich denke, ein Grosses; nämlich dass wir einmal
für immer befreit sind von der alles verengenden Auffassung,
dass man nichts, als was durch die Zeit bedingt ist,
zu denken vermöchte. Vielmehr zeigt sich alles Denken,
das der Bedingung der Zeit unterliegt, abhängig von dem,
welches den Bestand von Relationen unter Inhalten frei von
Zeitbedingungen ins Auge fasst, von welcher Art das logische
und das mathematische Denken ist. Also das an keine Zeit-
bedingung sich bindende Denken ist das ursprüngliche, das
Zeitdenken ist das abgeleitete. Der eigene Blickpunkt des
denkenden Bewusstseins — und nur denkendes Bewusstsein ist
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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