für eine absolute Erkenntnis. Der Empirismus ist also im Grunde naiver Absolutismus, sofern er glaubt, in der empirischen Thatsache, ganz gegen den Begriff des Empirischen, Absolutes zu ergreifen. Wahrnehmung nimmt für wahr, was es im ab- soluten Sinne nicht ist noch sein könnte. Sie hat aber volles Recht, das, was sie in bedingter Erkenntnis erreicht, für wahr zu nehmen, insofern dies heisst, es hypothetisch als wahr zu setzen, um nämlich einen Ansatz zu haben, von dem aus der Prozess der Erkenntnis weitergehen kann zu neuen und neuen Ansätzen, und so ohne Ende. In diesem Sinne sind wir berechtigt, gerade unsere Ansicht empiristisch zu nennen. In Wahrheit ist dies der Empirismus der Wissenschaft; sie verfährt danach, wenn auch meist ohne sich darüber klar zu sein.
Dieser ganze geschilderte Prozess der theoretischen Er- kenntnis ist regiert von wenigen einfachen Grundgesetzen, welche darzulegen und systematisch zu entwickeln die eigen- tümliche Aufgabe der Logik ist. Die besonderen Wissen- schaften sind nach dieser Ansicht nicht bloss ebenso viele Anwendungen dieser Gesetze als ihres gemeinsamen Organon (Werkzeugs) je auf ein eigentümliches Gebiet gegebener Gegen- stände; sondern die Herrschaft der Logik erstreckt sich bis auf die Grundbegriffe und Grunderkenntnisse, welche das Objekt einer jeden Wissenschaft für unser Denken erst konstituieren. Das erweist sich am klarsten in den reinen Erkenntnissen der exakt genannten, der mathematischen Wissenschaften. Auch die Einheit der Wissenschaft ist hiernach begründet in der Einheit ihres logischen Fundaments, aus der allein begreiflich wird, weshalb z. B. nicht die Objekte der Mathematik eine Welt für sich bilden, die der Naturwissenschaft eine zweite u. s. f., sondern etwa der Gegenstand der Naturwissenschaft von seinem Ursprung an in mathematischer Gestalt sich wissen- schaftlich aufbauen muss. Und so ist schliesslich alle Wissen- schaft logische Leistung, und erstreckt andrerseits die Logik sich auf die ganze Arbeit der Wissenschaft.
Diese Einsicht ist aber von grösster Wichtigkeit für die theoretische Grundlegung der Pädagogik; sowohl für die Er- kenntnis der Gesetze der Verstandesbildung selbst, als für das,
für eine absolute Erkenntnis. Der Empirismus ist also im Grunde naiver Absolutismus, sofern er glaubt, in der empirischen Thatsache, ganz gegen den Begriff des Empirischen, Absolutes zu ergreifen. Wahrnehmung nimmt für wahr, was es im ab- soluten Sinne nicht ist noch sein könnte. Sie hat aber volles Recht, das, was sie in bedingter Erkenntnis erreicht, für wahr zu nehmen, insofern dies heisst, es hypothetisch als wahr zu setzen, um nämlich einen Ansatz zu haben, von dem aus der Prozess der Erkenntnis weitergehen kann zu neuen und neuen Ansätzen, und so ohne Ende. In diesem Sinne sind wir berechtigt, gerade unsere Ansicht empiristisch zu nennen. In Wahrheit ist dies der Empirismus der Wissenschaft; sie verfährt danach, wenn auch meist ohne sich darüber klar zu sein.
Dieser ganze geschilderte Prozess der theoretischen Er- kenntnis ist regiert von wenigen einfachen Grundgesetzen, welche darzulegen und systematisch zu entwickeln die eigen- tümliche Aufgabe der Logik ist. Die besonderen Wissen- schaften sind nach dieser Ansicht nicht bloss ebenso viele Anwendungen dieser Gesetze als ihres gemeinsamen Organon (Werkzeugs) je auf ein eigentümliches Gebiet gegebener Gegen- stände; sondern die Herrschaft der Logik erstreckt sich bis auf die Grundbegriffe und Grunderkenntnisse, welche das Objekt einer jeden Wissenschaft für unser Denken erst konstituieren. Das erweist sich am klarsten in den reinen Erkenntnissen der exakt genannten, der mathematischen Wissenschaften. Auch die Einheit der Wissenschaft ist hiernach begründet in der Einheit ihres logischen Fundaments, aus der allein begreiflich wird, weshalb z. B. nicht die Objekte der Mathematik eine Welt für sich bilden, die der Naturwissenschaft eine zweite u. s. f., sondern etwa der Gegenstand der Naturwissenschaft von seinem Ursprung an in mathematischer Gestalt sich wissen- schaftlich aufbauen muss. Und so ist schliesslich alle Wissen- schaft logische Leistung, und erstreckt andrerseits die Logik sich auf die ganze Arbeit der Wissenschaft.
Diese Einsicht ist aber von grösster Wichtigkeit für die theoretische Grundlegung der Pädagogik; sowohl für die Er- kenntnis der Gesetze der Verstandesbildung selbst, als für das,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0047"n="31"/>
für eine absolute Erkenntnis. Der Empirismus ist also im<lb/>
Grunde naiver Absolutismus, sofern er glaubt, in der empirischen<lb/>
Thatsache, ganz gegen den Begriff des Empirischen, Absolutes<lb/>
zu ergreifen. Wahrnehmung nimmt für wahr, was es im ab-<lb/>
soluten Sinne nicht ist noch sein könnte. Sie hat aber volles<lb/>
Recht, das, was sie in bedingter Erkenntnis erreicht, für wahr<lb/>
zu nehmen, insofern dies heisst, es hypothetisch als wahr zu<lb/>
setzen, um nämlich einen <hirendition="#g">Ansatz</hi> zu haben, von dem aus<lb/>
der Prozess der Erkenntnis weitergehen kann zu neuen und<lb/>
neuen Ansätzen, und so ohne Ende. In diesem Sinne sind<lb/>
wir berechtigt, gerade unsere Ansicht empiristisch zu nennen.<lb/>
In Wahrheit ist dies der Empirismus der Wissenschaft; sie<lb/>
verfährt danach, wenn auch meist ohne sich darüber klar zu sein.</p><lb/><p>Dieser ganze geschilderte Prozess der theoretischen Er-<lb/>
kenntnis ist regiert von wenigen einfachen Grundgesetzen,<lb/>
welche darzulegen und systematisch zu entwickeln die eigen-<lb/>
tümliche Aufgabe der Logik ist. Die besonderen Wissen-<lb/>
schaften sind nach dieser Ansicht nicht bloss ebenso viele<lb/>
Anwendungen dieser Gesetze als ihres gemeinsamen Organon<lb/>
(Werkzeugs) je auf ein eigentümliches Gebiet gegebener Gegen-<lb/>
stände; sondern die Herrschaft der Logik erstreckt sich bis<lb/>
auf die Grundbegriffe und Grunderkenntnisse, welche das Objekt<lb/>
einer jeden Wissenschaft für unser Denken erst konstituieren.<lb/>
Das erweist sich am klarsten in den reinen Erkenntnissen der<lb/>
exakt genannten, der mathematischen Wissenschaften. Auch<lb/>
die Einheit der Wissenschaft ist hiernach begründet in der<lb/>
Einheit ihres logischen Fundaments, aus der allein begreiflich<lb/>
wird, weshalb z. B. nicht die Objekte der Mathematik eine<lb/>
Welt für sich bilden, die der Naturwissenschaft eine zweite<lb/>
u. s. f., sondern etwa der Gegenstand der Naturwissenschaft<lb/>
von seinem Ursprung an in mathematischer Gestalt sich wissen-<lb/>
schaftlich aufbauen muss. Und so ist schliesslich alle Wissen-<lb/>
schaft logische Leistung, und erstreckt andrerseits die Logik<lb/>
sich auf die ganze Arbeit der Wissenschaft.</p><lb/><p>Diese Einsicht ist aber von grösster Wichtigkeit für die<lb/>
theoretische Grundlegung der Pädagogik; sowohl für die Er-<lb/>
kenntnis der Gesetze der Verstandesbildung selbst, als für das,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[31/0047]
für eine absolute Erkenntnis. Der Empirismus ist also im
Grunde naiver Absolutismus, sofern er glaubt, in der empirischen
Thatsache, ganz gegen den Begriff des Empirischen, Absolutes
zu ergreifen. Wahrnehmung nimmt für wahr, was es im ab-
soluten Sinne nicht ist noch sein könnte. Sie hat aber volles
Recht, das, was sie in bedingter Erkenntnis erreicht, für wahr
zu nehmen, insofern dies heisst, es hypothetisch als wahr zu
setzen, um nämlich einen Ansatz zu haben, von dem aus
der Prozess der Erkenntnis weitergehen kann zu neuen und
neuen Ansätzen, und so ohne Ende. In diesem Sinne sind
wir berechtigt, gerade unsere Ansicht empiristisch zu nennen.
In Wahrheit ist dies der Empirismus der Wissenschaft; sie
verfährt danach, wenn auch meist ohne sich darüber klar zu sein.
Dieser ganze geschilderte Prozess der theoretischen Er-
kenntnis ist regiert von wenigen einfachen Grundgesetzen,
welche darzulegen und systematisch zu entwickeln die eigen-
tümliche Aufgabe der Logik ist. Die besonderen Wissen-
schaften sind nach dieser Ansicht nicht bloss ebenso viele
Anwendungen dieser Gesetze als ihres gemeinsamen Organon
(Werkzeugs) je auf ein eigentümliches Gebiet gegebener Gegen-
stände; sondern die Herrschaft der Logik erstreckt sich bis
auf die Grundbegriffe und Grunderkenntnisse, welche das Objekt
einer jeden Wissenschaft für unser Denken erst konstituieren.
Das erweist sich am klarsten in den reinen Erkenntnissen der
exakt genannten, der mathematischen Wissenschaften. Auch
die Einheit der Wissenschaft ist hiernach begründet in der
Einheit ihres logischen Fundaments, aus der allein begreiflich
wird, weshalb z. B. nicht die Objekte der Mathematik eine
Welt für sich bilden, die der Naturwissenschaft eine zweite
u. s. f., sondern etwa der Gegenstand der Naturwissenschaft
von seinem Ursprung an in mathematischer Gestalt sich wissen-
schaftlich aufbauen muss. Und so ist schliesslich alle Wissen-
schaft logische Leistung, und erstreckt andrerseits die Logik
sich auf die ganze Arbeit der Wissenschaft.
Diese Einsicht ist aber von grösster Wichtigkeit für die
theoretische Grundlegung der Pädagogik; sowohl für die Er-
kenntnis der Gesetze der Verstandesbildung selbst, als für das,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/47>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.