wie mit flutendem Leben, mit dem, wie auch immer schwachen und dunklen, aber stets in irgendeinem Grade vorhandenen und wirksamen Bewusstsein jener zurück- und vorauswirkenden, nach- und vorgefühlten Tendenzen in uns. Das jeweilig in Erfahrung Gebrachte erscheint dann fast bloss als vorüber- gehender Niederschlag, als an sich indifferentes weil ja immer wieder sich selbst aufhebendes Erzeugnis des ewigen Prozesses der Erfahrung, an dem auch das lebendige Interesse der Er- kenntnisthätigkeit fast ausschliesslich haftet.
Und so dürfen wir auf der Voraussetzung fortan als einer feststehenden fussen: dass Tendenz allenthalben stattfindet, auch und besonders im gesamten Aufbau der Erfahrung. Von einem stofflichen Faktor ist dabei eigentlich nicht zu reden; was ist denn an einer blossen Tendenz oder Richtung, die stets ein Verhältnis des Wirklichen zum Nichtwirklichen einschliesst, überhaupt noch Stoff zu nennen? Als immer wieder verbrauch- ter und sich neu erzeugender Stoff erscheinen jetzt vielmehr die nur vermeintlich festen, thatsächlich überaus flüchtigen Gebilde der Erfahrung, über die die Tendenz immer wieder siegreich hinausdringt. Jedenfalls setzt, wie überhaupt alles Empirische im Bewusstsein das Ursprüngliche, so das Empi- rische der Tendenz jene ursprüngliche Richtung des Bewusst- seins auf unbedingte Einheit und Uebereinstimmung voraus. Nur ist sie nicht auch notwendig uns direkt bewusst.
Nach dem Grade aber, in dem sie bewusst wird, unter- scheidet sich deutlich eine Folge von Stufen der Aktivität, deren unterste, dem Empirischen also nächststehende, wir Trieb nennen.
Sieht man das unterscheidende Merkmal des Sinnlichen in der wesentlichen Beziehung auf das Jetzt und Hier, auf den als bestimmt gesetzten Zeit- und Raumpunkt, so trifft dies Merkmal auf die Tendenz in ihrer Urform zu; nämlich nicht, sofern sie ins Unendliche hinausweist, sondern sofern sie vorerst im nächstgegebenen, gegenwärtigen oder vom gegen- wärtigen Erlebnis aus unmittelbar zu erreichenden, also in unmittelbarer Erfahrung liegenden Objekt ihr Ziel findet, d. h. uns nur bewusst ist als auf dies Nächste gerichtet.
wie mit flutendem Leben, mit dem, wie auch immer schwachen und dunklen, aber stets in irgendeinem Grade vorhandenen und wirksamen Bewusstsein jener zurück- und vorauswirkenden, nach- und vorgefühlten Tendenzen in uns. Das jeweilig in Erfahrung Gebrachte erscheint dann fast bloss als vorüber- gehender Niederschlag, als an sich indifferentes weil ja immer wieder sich selbst aufhebendes Erzeugnis des ewigen Prozesses der Erfahrung, an dem auch das lebendige Interesse der Er- kenntnisthätigkeit fast ausschliesslich haftet.
Und so dürfen wir auf der Voraussetzung fortan als einer feststehenden fussen: dass Tendenz allenthalben stattfindet, auch und besonders im gesamten Aufbau der Erfahrung. Von einem stofflichen Faktor ist dabei eigentlich nicht zu reden; was ist denn an einer blossen Tendenz oder Richtung, die stets ein Verhältnis des Wirklichen zum Nichtwirklichen einschliesst, überhaupt noch Stoff zu nennen? Als immer wieder verbrauch- ter und sich neu erzeugender Stoff erscheinen jetzt vielmehr die nur vermeintlich festen, thatsächlich überaus flüchtigen Gebilde der Erfahrung, über die die Tendenz immer wieder siegreich hinausdringt. Jedenfalls setzt, wie überhaupt alles Empirische im Bewusstsein das Ursprüngliche, so das Empi- rische der Tendenz jene ursprüngliche Richtung des Bewusst- seins auf unbedingte Einheit und Uebereinstimmung voraus. Nur ist sie nicht auch notwendig uns direkt bewusst.
Nach dem Grade aber, in dem sie bewusst wird, unter- scheidet sich deutlich eine Folge von Stufen der Aktivität, deren unterste, dem Empirischen also nächststehende, wir Trieb nennen.
Sieht man das unterscheidende Merkmal des Sinnlichen in der wesentlichen Beziehung auf das Jetzt und Hier, auf den als bestimmt gesetzten Zeit- und Raumpunkt, so trifft dies Merkmal auf die Tendenz in ihrer Urform zu; nämlich nicht, sofern sie ins Unendliche hinausweist, sondern sofern sie vorerst im nächstgegebenen, gegenwärtigen oder vom gegen- wärtigen Erlebnis aus unmittelbar zu erreichenden, also in unmittelbarer Erfahrung liegenden Objekt ihr Ziel findet, d. h. uns nur bewusst ist als auf dies Nächste gerichtet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0071"n="55"/>
wie mit flutendem Leben, mit dem, wie auch immer schwachen<lb/>
und dunklen, aber stets in irgendeinem Grade vorhandenen<lb/>
und wirksamen Bewusstsein jener zurück- und vorauswirkenden,<lb/>
nach- und vorgefühlten Tendenzen in uns. Das jeweilig in<lb/>
Erfahrung Gebrachte erscheint dann fast bloss als vorüber-<lb/>
gehender Niederschlag, als an sich indifferentes weil ja immer<lb/>
wieder sich selbst aufhebendes Erzeugnis des ewigen Prozesses<lb/>
der Erfahrung, an dem auch das lebendige Interesse der Er-<lb/>
kenntnisthätigkeit fast ausschliesslich haftet.</p><lb/><p>Und so dürfen wir auf der Voraussetzung fortan als einer<lb/>
feststehenden fussen: dass Tendenz allenthalben stattfindet, auch<lb/>
und besonders im gesamten Aufbau der Erfahrung. Von einem<lb/>
stofflichen Faktor ist dabei eigentlich nicht zu reden; was ist<lb/>
denn an einer blossen Tendenz oder Richtung, die stets ein<lb/>
Verhältnis des Wirklichen zum Nichtwirklichen einschliesst,<lb/>
überhaupt noch Stoff zu nennen? Als immer wieder verbrauch-<lb/>
ter und sich neu erzeugender Stoff erscheinen jetzt vielmehr<lb/>
die nur vermeintlich festen, thatsächlich überaus flüchtigen<lb/>
Gebilde der Erfahrung, über die die Tendenz immer wieder<lb/>
siegreich hinausdringt. Jedenfalls setzt, wie überhaupt alles<lb/>
Empirische im Bewusstsein das Ursprüngliche, so das Empi-<lb/>
rische der Tendenz jene ursprüngliche Richtung des Bewusst-<lb/>
seins auf unbedingte Einheit und Uebereinstimmung voraus.<lb/>
Nur ist sie nicht auch notwendig uns direkt bewusst.</p><lb/><p>Nach dem Grade aber, in dem sie <hirendition="#g">bewusst</hi> wird, unter-<lb/>
scheidet sich deutlich eine Folge von <hirendition="#g">Stufen</hi> der Aktivität,<lb/>
deren unterste, dem Empirischen also nächststehende, wir<lb/><hirendition="#g">Trieb</hi> nennen.</p><lb/><p>Sieht man das unterscheidende Merkmal des Sinnlichen<lb/>
in der wesentlichen Beziehung auf das Jetzt und Hier, auf<lb/>
den als bestimmt gesetzten Zeit- und Raumpunkt, so trifft<lb/>
dies Merkmal auf die Tendenz in ihrer Urform zu; nämlich<lb/>
nicht, sofern sie ins Unendliche hinausweist, sondern sofern sie<lb/><hirendition="#g">vorerst</hi> im nächstgegebenen, gegenwärtigen oder vom gegen-<lb/>
wärtigen Erlebnis aus unmittelbar zu erreichenden, also in<lb/>
unmittelbarer Erfahrung liegenden Objekt ihr Ziel findet, d. h.<lb/><hirendition="#g">uns nur bewusst ist</hi> als auf dies Nächste gerichtet.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[55/0071]
wie mit flutendem Leben, mit dem, wie auch immer schwachen
und dunklen, aber stets in irgendeinem Grade vorhandenen
und wirksamen Bewusstsein jener zurück- und vorauswirkenden,
nach- und vorgefühlten Tendenzen in uns. Das jeweilig in
Erfahrung Gebrachte erscheint dann fast bloss als vorüber-
gehender Niederschlag, als an sich indifferentes weil ja immer
wieder sich selbst aufhebendes Erzeugnis des ewigen Prozesses
der Erfahrung, an dem auch das lebendige Interesse der Er-
kenntnisthätigkeit fast ausschliesslich haftet.
Und so dürfen wir auf der Voraussetzung fortan als einer
feststehenden fussen: dass Tendenz allenthalben stattfindet, auch
und besonders im gesamten Aufbau der Erfahrung. Von einem
stofflichen Faktor ist dabei eigentlich nicht zu reden; was ist
denn an einer blossen Tendenz oder Richtung, die stets ein
Verhältnis des Wirklichen zum Nichtwirklichen einschliesst,
überhaupt noch Stoff zu nennen? Als immer wieder verbrauch-
ter und sich neu erzeugender Stoff erscheinen jetzt vielmehr
die nur vermeintlich festen, thatsächlich überaus flüchtigen
Gebilde der Erfahrung, über die die Tendenz immer wieder
siegreich hinausdringt. Jedenfalls setzt, wie überhaupt alles
Empirische im Bewusstsein das Ursprüngliche, so das Empi-
rische der Tendenz jene ursprüngliche Richtung des Bewusst-
seins auf unbedingte Einheit und Uebereinstimmung voraus.
Nur ist sie nicht auch notwendig uns direkt bewusst.
Nach dem Grade aber, in dem sie bewusst wird, unter-
scheidet sich deutlich eine Folge von Stufen der Aktivität,
deren unterste, dem Empirischen also nächststehende, wir
Trieb nennen.
Sieht man das unterscheidende Merkmal des Sinnlichen
in der wesentlichen Beziehung auf das Jetzt und Hier, auf
den als bestimmt gesetzten Zeit- und Raumpunkt, so trifft
dies Merkmal auf die Tendenz in ihrer Urform zu; nämlich
nicht, sofern sie ins Unendliche hinausweist, sondern sofern sie
vorerst im nächstgegebenen, gegenwärtigen oder vom gegen-
wärtigen Erlebnis aus unmittelbar zu erreichenden, also in
unmittelbarer Erfahrung liegenden Objekt ihr Ziel findet, d. h.
uns nur bewusst ist als auf dies Nächste gerichtet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/71>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.