stimmenden, also auch nicht sich gegenseitig fördernden Ten- denzen, die anfangs, indem jede nur mehr für sich zur Geltung kam, streitlos neben einander hergehen konnten. Treffen sie aber erst auf einander, so muss ein Ausgleich gesucht werden; und jeder gefundene Ausgleich ist ein neuer Sieg der Bewusst- seinseinheit, festigt die Tendenz zur Einheit überhaupt, erhöht die Energie dieser Tendenz für jeden folgenden Zusammenstoss. Und so entspricht sich auch das letzte Ergebnis der Entwick- lung dort und hier: so wie im Fortgang der Erfahrung jede Antwort neue Fragen hervortreibt, jede gefundene Lösung neue Aufgaben stellt, bis die Erwartung letztgültiger Erklärungen grundsätzlich preisgegeben, der Fortschritt der theoretischen Erkenntnis als notwendigerweise unendlich, in dieser Unend- lichkeit aber streng gesetzmässig erkannt wird, so ist das Endergebnis der praktischen "Erfahrung" die Einsicht in die Unendlichkeit der Aufgabe der praktischen Erkenntnis, die völlige Zerstörung des anfänglichen naiven Glaubens an ein empirisch erreichbares letztes Ziel, zugleich mit dem sicheren Bewusstsein eines möglichen Fortschritts von fester Richtung, nach einem ewigen Ziele hin.
Nun aber wissen wir schon, dass diese durchgängige Ana- logie eine wurzelhafte Einheit des theoretischen und prakti- schen Bewusstseins zur Voraussetzung hat. Das tritt in voller Klarheit hervor, wenn erst die Grundtendenz zur Einheit in der Entwicklung des gesamten aktiven Vermögens so weit herrschend geworden ist, dass auf den Ausbau einer Welt der Zwecke mit Bewusstsein hingearbeitet wird. Der Na- turboden der Entwicklung menschlichen Wollens kann dann keinen Augenblick mehr verkannt werden. Dadurch wird der Wille nicht etwa auf eine tiefere Stufe herabgesetzt, mate- rialisiert, vielmehr umgekehrt das ganze Gebiet der Er- fahrung, die Natur, zugleich in das Blickfeld des praktischen Bewusstseins, der Idee gerückt, d. i. idealisiert.
Das ist die grosse Bedeutung der Technik, deren Be- griff, wie nach Sokrates*) nicht wieder hätte vergessen
*) Vergl. des Verf. Darstellung, Philos. Monatsh. Bd. XXX S. 356 ff.
stimmenden, also auch nicht sich gegenseitig fördernden Ten- denzen, die anfangs, indem jede nur mehr für sich zur Geltung kam, streitlos neben einander hergehen konnten. Treffen sie aber erst auf einander, so muss ein Ausgleich gesucht werden; und jeder gefundene Ausgleich ist ein neuer Sieg der Bewusst- seinseinheit, festigt die Tendenz zur Einheit überhaupt, erhöht die Energie dieser Tendenz für jeden folgenden Zusammenstoss. Und so entspricht sich auch das letzte Ergebnis der Entwick- lung dort und hier: so wie im Fortgang der Erfahrung jede Antwort neue Fragen hervortreibt, jede gefundene Lösung neue Aufgaben stellt, bis die Erwartung letztgültiger Erklärungen grundsätzlich preisgegeben, der Fortschritt der theoretischen Erkenntnis als notwendigerweise unendlich, in dieser Unend- lichkeit aber streng gesetzmässig erkannt wird, so ist das Endergebnis der praktischen „Erfahrung“ die Einsicht in die Unendlichkeit der Aufgabe der praktischen Erkenntnis, die völlige Zerstörung des anfänglichen naiven Glaubens an ein empirisch erreichbares letztes Ziel, zugleich mit dem sicheren Bewusstsein eines möglichen Fortschritts von fester Richtung, nach einem ewigen Ziele hin.
Nun aber wissen wir schon, dass diese durchgängige Ana- logie eine wurzelhafte Einheit des theoretischen und prakti- schen Bewusstseins zur Voraussetzung hat. Das tritt in voller Klarheit hervor, wenn erst die Grundtendenz zur Einheit in der Entwicklung des gesamten aktiven Vermögens so weit herrschend geworden ist, dass auf den Ausbau einer Welt der Zwecke mit Bewusstsein hingearbeitet wird. Der Na- turboden der Entwicklung menschlichen Wollens kann dann keinen Augenblick mehr verkannt werden. Dadurch wird der Wille nicht etwa auf eine tiefere Stufe herabgesetzt, mate- rialisiert, vielmehr umgekehrt das ganze Gebiet der Er- fahrung, die Natur, zugleich in das Blickfeld des praktischen Bewusstseins, der Idee gerückt, d. i. idealisiert.
Das ist die grosse Bedeutung der Technik, deren Be- griff, wie nach Sokrates*) nicht wieder hätte vergessen
*) Vergl. des Verf. Darstellung, Philos. Monatsh. Bd. XXX S. 356 ff.
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[66/0082]
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denzen, die anfangs, indem jede nur mehr für sich zur Geltung
kam, streitlos neben einander hergehen konnten. Treffen sie
aber erst auf einander, so muss ein Ausgleich gesucht werden;
und jeder gefundene Ausgleich ist ein neuer Sieg der Bewusst-
seinseinheit, festigt die Tendenz zur Einheit überhaupt, erhöht die
Energie dieser Tendenz für jeden folgenden Zusammenstoss.
Und so entspricht sich auch das letzte Ergebnis der Entwick-
lung dort und hier: so wie im Fortgang der Erfahrung jede
Antwort neue Fragen hervortreibt, jede gefundene Lösung neue
Aufgaben stellt, bis die Erwartung letztgültiger Erklärungen
grundsätzlich preisgegeben, der Fortschritt der theoretischen
Erkenntnis als notwendigerweise unendlich, in dieser Unend-
lichkeit aber streng gesetzmässig erkannt wird, so ist das
Endergebnis der praktischen „Erfahrung“ die Einsicht in die
Unendlichkeit der Aufgabe der praktischen Erkenntnis, die
völlige Zerstörung des anfänglichen naiven Glaubens an ein
empirisch erreichbares letztes Ziel, zugleich mit dem sicheren
Bewusstsein eines möglichen Fortschritts von fester Richtung,
nach einem ewigen Ziele hin.
Nun aber wissen wir schon, dass diese durchgängige Ana-
logie eine wurzelhafte Einheit des theoretischen und prakti-
schen Bewusstseins zur Voraussetzung hat. Das tritt in voller
Klarheit hervor, wenn erst die Grundtendenz zur Einheit in
der Entwicklung des gesamten aktiven Vermögens so weit
herrschend geworden ist, dass auf den Ausbau einer Welt
der Zwecke mit Bewusstsein hingearbeitet wird. Der Na-
turboden der Entwicklung menschlichen Wollens kann dann
keinen Augenblick mehr verkannt werden. Dadurch wird der
Wille nicht etwa auf eine tiefere Stufe herabgesetzt, mate-
rialisiert, vielmehr umgekehrt das ganze Gebiet der Er-
fahrung, die Natur, zugleich in das Blickfeld des praktischen
Bewusstseins, der Idee gerückt, d. i. idealisiert.
Das ist die grosse Bedeutung der Technik, deren Be-
griff, wie nach Sokrates *) nicht wieder hätte vergessen
*) Vergl. des Verf. Darstellung, Philos. Monatsh. Bd. XXX S. 356 ff.
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/82>, abgerufen am 21.11.2024.
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