Gemeinschaft, nach der grossen Einsicht Platos, notwendig zuletzt identisch sind mit den Bildungsgesetzen des Individuums. Es ist also das, jetzt schon in einigen Hauptlinien vor uns stehende und bald näher auszuführende Bild der gesetzmässigen Entwicklung des Einzelnen zu vergrössern zu den Dimensionen der Gemeinschaft. An der Spitze steht das Grundgesetz der Konzentration des Bewusstseins, zugleich mit Erweite- rung seines Horizonts. Das war ja die Grundlage dieser ganzen Betrachtung: dass dasselbe Grundgesetz sich bewähren müsse in den Berührungen der individuell verschiedenen Be- wusstseinswelten wie in jeder für sich. So wie in der innern Welt des "Verstandes" durch Widerstreit und Ausgleich eine immer tiefere und zugleich umfassendere Einheit des Verständ- nisses sich bildet; wie auf dem Gebiete des "Willens" das gleiche Spiel sich wiederholt; so, und zwar in eben diesen beiden Hinsichten, primärerweise aber in Hinsicht des Willens, muss sich eine Konzentration von Bewusstsein zu Bewusstsein durch Streit und Vergleich in stetem unbegrenztem Fortschritt vollziehen von bloss äusserer Gesellung zu innerer Gemein- schaft, von "Heteronomie" zu "Autonomie". Und durch die- selben wesentlichen Stufen, welche die Entwicklung des Ein- zelnen durchläuft: durch Arbeit und Willensregelung zum Vernunftgesetz, muss auch die Gemeinschaft fort- schreiten. Die Grundformen des Soziallebens, die Grundarten der sozialen Thätigkeit, schliesslich auch die besonderen sozialen Organisationsformen, die direkt der Bildung der Einzelnen dienen, müssen auf der gleichen Basis sich ableiten lassen.
Damit ist unsre Aufgabe klar vorgezeichnet, Ziel und Weg der Untersuchung bestimmt. Wir zerlegen sie in zwei Hauptteile; der erste ist eigentlich ethisch und zwar individual- und sozial-ethisch; als Voraussetzung zur sozialen Ethik wird er zugleich die Fundamente der Sozialphilosophie überhaupt nachzuweisen haben; der andere, unsrer Absicht gemäss aus- führlicher zu behandelnde Teil ist im engeren Sinne pädagogisch.
Gemeinschaft, nach der grossen Einsicht Platos, notwendig zuletzt identisch sind mit den Bildungsgesetzen des Individuums. Es ist also das, jetzt schon in einigen Hauptlinien vor uns stehende und bald näher auszuführende Bild der gesetzmässigen Entwicklung des Einzelnen zu vergrössern zu den Dimensionen der Gemeinschaft. An der Spitze steht das Grundgesetz der Konzentration des Bewusstseins, zugleich mit Erweite- rung seines Horizonts. Das war ja die Grundlage dieser ganzen Betrachtung: dass dasselbe Grundgesetz sich bewähren müsse in den Berührungen der individuell verschiedenen Be- wusstseinswelten wie in jeder für sich. So wie in der innern Welt des „Verstandes“ durch Widerstreit und Ausgleich eine immer tiefere und zugleich umfassendere Einheit des Verständ- nisses sich bildet; wie auf dem Gebiete des „Willens“ das gleiche Spiel sich wiederholt; so, und zwar in eben diesen beiden Hinsichten, primärerweise aber in Hinsicht des Willens, muss sich eine Konzentration von Bewusstsein zu Bewusstsein durch Streit und Vergleich in stetem unbegrenztem Fortschritt vollziehen von bloss äusserer Gesellung zu innerer Gemein- schaft, von „Heteronomie“ zu „Autonomie“. Und durch die- selben wesentlichen Stufen, welche die Entwicklung des Ein- zelnen durchläuft: durch Arbeit und Willensregelung zum Vernunftgesetz, muss auch die Gemeinschaft fort- schreiten. Die Grundformen des Soziallebens, die Grundarten der sozialen Thätigkeit, schliesslich auch die besonderen sozialen Organisationsformen, die direkt der Bildung der Einzelnen dienen, müssen auf der gleichen Basis sich ableiten lassen.
Damit ist unsre Aufgabe klar vorgezeichnet, Ziel und Weg der Untersuchung bestimmt. Wir zerlegen sie in zwei Hauptteile; der erste ist eigentlich ethisch und zwar individual- und sozial-ethisch; als Voraussetzung zur sozialen Ethik wird er zugleich die Fundamente der Sozialphilosophie überhaupt nachzuweisen haben; der andere, unsrer Absicht gemäss aus- führlicher zu behandelnde Teil ist im engeren Sinne pädagogisch.
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Gemeinschaft, nach der grossen Einsicht Platos, notwendig
zuletzt identisch sind mit den Bildungsgesetzen des Individuums.
Es ist also das, jetzt schon in einigen Hauptlinien vor uns
stehende und bald näher auszuführende Bild der gesetzmässigen
Entwicklung des Einzelnen zu vergrössern zu den Dimensionen
der Gemeinschaft. An der Spitze steht das Grundgesetz der
Konzentration des Bewusstseins, zugleich mit Erweite-
rung seines Horizonts. Das war ja die Grundlage dieser
ganzen Betrachtung: dass dasselbe Grundgesetz sich bewähren
müsse in den Berührungen der individuell verschiedenen Be-
wusstseinswelten wie in jeder für sich. So wie in der innern
Welt des „Verstandes“ durch Widerstreit und Ausgleich eine
immer tiefere und zugleich umfassendere Einheit des Verständ-
nisses sich bildet; wie auf dem Gebiete des „Willens“ das
gleiche Spiel sich wiederholt; so, und zwar in eben diesen
beiden Hinsichten, primärerweise aber in Hinsicht des Willens,
muss sich eine Konzentration von Bewusstsein zu Bewusstsein
durch Streit und Vergleich in stetem unbegrenztem Fortschritt
vollziehen von bloss äusserer Gesellung zu innerer Gemein-
schaft, von „Heteronomie“ zu „Autonomie“. Und durch die-
selben wesentlichen Stufen, welche die Entwicklung des Ein-
zelnen durchläuft: durch Arbeit und Willensregelung
zum Vernunftgesetz, muss auch die Gemeinschaft fort-
schreiten. Die Grundformen des Soziallebens, die Grundarten
der sozialen Thätigkeit, schliesslich auch die besonderen sozialen
Organisationsformen, die direkt der Bildung der Einzelnen
dienen, müssen auf der gleichen Basis sich ableiten lassen.
Damit ist unsre Aufgabe klar vorgezeichnet, Ziel und
Weg der Untersuchung bestimmt. Wir zerlegen sie in zwei
Hauptteile; der erste ist eigentlich ethisch und zwar individual-
und sozial-ethisch; als Voraussetzung zur sozialen Ethik wird
er zugleich die Fundamente der Sozialphilosophie überhaupt
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Natorp, Paul: Sozialpädagogik. Stuttgart, 1899, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/natorp_sozialpaedagogik_1899/96>, abgerufen am 21.11.2024.
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