Auf der Heimreise hatten wir den Kanal bereits wieder passirt und bei Nacht die Leucht- feuer bei Dower deutlich erkannt, indem wir bei einem, zum Sturm werdenden Westsüd- west-Winde herliefen. Weiterhin in die Nord- see, wo diese mehr Breite gewann, fanden wir gewaltig hohe Wogen, die unserm tief mit Salz geladenen Schiffe durch öfteres Ue- berstürzen sehr beschwerlich fielen. Eben war meine letzte Nachtwache von zwölf bis 4 Uhr zu Ende. Jch gieng demnach zum Kapitain in die Kajüte, um ihm zu sagen, daß seine Wache begönne; daß es gewaltig stürme, und daß, wofern der Wind nicht bald nachliesse, es nöthig werden möchte, die Segel einzu- nehmen und gegen den Wind zu legen. An- ders sey mir bange, daß uns nicht Boot, Wasserfässer und selbst Menschen durch die Sturzwellen über Bord gerissen würden.
Müde suchte ich meine Lagerstätte, ohne jedoch einschlafen zu können. Jch hörte den Kapitain auf's Deck hervor kommen und wieder in die Kajüte zurück kehren, wobei er Morgen- und Bußlieder zu singen be- gann. Das däuchtete mir an ihm um so verwunderlicher, da er während der ganzen Reise, außer der Zeit des gewöhnlichen Schiffsgebets, nie ein geistliches Buch in die Hände genommen, noch eine Gesang-Note angestimmt hatte. "Das mag wohl gar ein
Auf der Heimreiſe hatten wir den Kanal bereits wieder paſſirt und bei Nacht die Leucht- feuer bei Dower deutlich erkannt, indem wir bei einem, zum Sturm werdenden Weſtſuͤd- weſt-Winde herliefen. Weiterhin in die Nord- ſee, wo dieſe mehr Breite gewann, fanden wir gewaltig hohe Wogen, die unſerm tief mit Salz geladenen Schiffe durch oͤfteres Ue- berſtuͤrzen ſehr beſchwerlich fielen. Eben war meine letzte Nachtwache von zwoͤlf bis 4 Uhr zu Ende. Jch gieng demnach zum Kapitain in die Kajuͤte, um ihm zu ſagen, daß ſeine Wache begoͤnne; daß es gewaltig ſtuͤrme, und daß, wofern der Wind nicht bald nachlieſſe, es noͤthig werden moͤchte, die Segel einzu- nehmen und gegen den Wind zu legen. An- ders ſey mir bange, daß uns nicht Boot, Waſſerfaͤſſer und ſelbſt Menſchen durch die Sturzwellen uͤber Bord geriſſen wuͤrden.
Muͤde ſuchte ich meine Lagerſtaͤtte, ohne jedoch einſchlafen zu koͤnnen. Jch hoͤrte den Kapitain auf’s Deck hervor kommen und wieder in die Kajuͤte zuruͤck kehren, wobei er Morgen- und Bußlieder zu ſingen be- gann. Das daͤuchtete mir an ihm um ſo verwunderlicher, da er waͤhrend der ganzen Reiſe, außer der Zeit des gewoͤhnlichen Schiffsgebets, nie ein geiſtliches Buch in die Haͤnde genommen, noch eine Geſang-Note angeſtimmt hatte. „Das mag wohl gar ein
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Auf der Heimreiſe hatten wir den Kanal
bereits wieder paſſirt und bei Nacht die Leucht-
feuer bei Dower deutlich erkannt, indem wir
bei einem, zum Sturm werdenden Weſtſuͤd-
weſt-Winde herliefen. Weiterhin in die Nord-
ſee, wo dieſe mehr Breite gewann, fanden
wir gewaltig hohe Wogen, die unſerm tief
mit Salz geladenen Schiffe durch oͤfteres Ue-
berſtuͤrzen ſehr beſchwerlich fielen. Eben war
meine letzte Nachtwache von zwoͤlf bis 4 Uhr
zu Ende. Jch gieng demnach zum Kapitain
in die Kajuͤte, um ihm zu ſagen, daß ſeine
Wache begoͤnne; daß es gewaltig ſtuͤrme, und
daß, wofern der Wind nicht bald nachlieſſe,
es noͤthig werden moͤchte, die Segel einzu-
nehmen und gegen den Wind zu legen. An-
ders ſey mir bange, daß uns nicht Boot,
Waſſerfaͤſſer und ſelbſt Menſchen durch die
Sturzwellen uͤber Bord geriſſen wuͤrden.
Muͤde ſuchte ich meine Lagerſtaͤtte, ohne
jedoch einſchlafen zu koͤnnen. Jch hoͤrte den
Kapitain auf’s Deck hervor kommen und
wieder in die Kajuͤte zuruͤck kehren, wobei
er Morgen- und Bußlieder zu ſingen be-
gann. Das daͤuchtete mir an ihm um ſo
verwunderlicher, da er waͤhrend der ganzen
Reiſe, außer der Zeit des gewoͤhnlichen
Schiffsgebets, nie ein geiſtliches Buch in die
Haͤnde genommen, noch eine Geſang-Note
angeſtimmt hatte. „Das mag wohl gar ein
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/137>, abgerufen am 16.02.2025.
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