setzliche Zeit bereits verflossen. Der Bod- merey-Geber verlangt sein vorgeschossenes Geld, welches die Versicherer mit hinlängli- chem Fug sich zu zahlen weigerten. Jch be- fand mich im entsetzlichsten Gedränge: denn was blieb mir übrig, als den Verkauf mei- nes Schiffes geschehen zu lassen, damit die Bodmerey gedeckt werden könne? -- Es schien unmöglich, daß noch irgend etwas mich armen geschlagenen Mann aus diesem Unglück herausrisse!
So saß ich nun eines Tages, im größten Herzenskummer, in einem Weinhause, wo vor mir auf dem Tische ein holländisches Zeitungs- blatt lag. Jm trüben Sinnen nahm ich es, gleichsam unwillkührlich, zur Hand: aber ich wußte selbst nicht, was ich las, bis meine Augen auf eine Anzeige fielen, des Jnhalts: "Es sey zu Schlinger-Want (ohngefehr eine Meile von Amsterdam, jenseits des Y) ein ertrunkener Mann gefunden worden", dessen Kleidung und übrige Kennzeichen zugleich nä- her angegeben wurden. Der Prediger des Orts, von welchem er dort begraben worden, forderte hier die etwannigen Angehörigen dieses Verunglückten auf, der Kirche die wenigen verursachten Begräbnißkosten zu ent- richten.
"Himmel!" dacht' ich bei mir selbst -- "Wenn dieser Ertrunkene vielleicht dein Stein-
ſetzliche Zeit bereits verfloſſen. Der Bod- merey-Geber verlangt ſein vorgeſchoſſenes Geld, welches die Verſicherer mit hinlaͤngli- chem Fug ſich zu zahlen weigerten. Jch be- fand mich im entſetzlichſten Gedraͤnge: denn was blieb mir uͤbrig, als den Verkauf mei- nes Schiffes geſchehen zu laſſen, damit die Bodmerey gedeckt werden koͤnne? — Es ſchien unmoͤglich, daß noch irgend etwas mich armen geſchlagenen Mann aus dieſem Ungluͤck herausriſſe!
So ſaß ich nun eines Tages, im groͤßten Herzenskummer, in einem Weinhauſe, wo vor mir auf dem Tiſche ein hollaͤndiſches Zeitungs- blatt lag. Jm truͤben Sinnen nahm ich es, gleichſam unwillkuͤhrlich, zur Hand: aber ich wußte ſelbſt nicht, was ich las, bis meine Augen auf eine Anzeige fielen, des Jnhalts: „Es ſey zu Schlinger-Want (ohngefehr eine Meile von Amſterdam, jenſeits des Y) ein ertrunkener Mann gefunden worden‟, deſſen Kleidung und uͤbrige Kennzeichen zugleich naͤ- her angegeben wurden. Der Prediger des Orts, von welchem er dort begraben worden, forderte hier die etwannigen Angehoͤrigen dieſes Verungluͤckten auf, der Kirche die wenigen verurſachten Begraͤbnißkoſten zu ent- richten.
„Himmel!‟ dacht’ ich bei mir ſelbſt — „Wenn dieſer Ertrunkene vielleicht dein Stein-
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ſetzliche Zeit bereits verfloſſen. Der Bod-
merey-Geber verlangt ſein vorgeſchoſſenes
Geld, welches die Verſicherer mit hinlaͤngli-
chem Fug ſich zu zahlen weigerten. Jch be-
fand mich im entſetzlichſten Gedraͤnge: denn
was blieb mir uͤbrig, als den Verkauf mei-
nes Schiffes geſchehen zu laſſen, damit die
Bodmerey gedeckt werden koͤnne? — Es
ſchien unmoͤglich, daß noch irgend etwas mich
armen geſchlagenen Mann aus dieſem Ungluͤck
herausriſſe!
So ſaß ich nun eines Tages, im groͤßten
Herzenskummer, in einem Weinhauſe, wo vor
mir auf dem Tiſche ein hollaͤndiſches Zeitungs-
blatt lag. Jm truͤben Sinnen nahm ich es,
gleichſam unwillkuͤhrlich, zur Hand: aber ich
wußte ſelbſt nicht, was ich las, bis meine
Augen auf eine Anzeige fielen, des Jnhalts:
„Es ſey zu Schlinger-Want (ohngefehr eine
Meile von Amſterdam, jenſeits des Y) ein
ertrunkener Mann gefunden worden‟, deſſen
Kleidung und uͤbrige Kennzeichen zugleich naͤ-
her angegeben wurden. Der Prediger des
Orts, von welchem er dort begraben worden,
forderte hier die etwannigen Angehoͤrigen
dieſes Verungluͤckten auf, der Kirche die
wenigen verurſachten Begraͤbnißkoſten zu ent-
richten.
„Himmel!‟ dacht’ ich bei mir ſelbſt —
„Wenn dieſer Ertrunkene vielleicht dein Stein-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/220>, abgerufen am 16.07.2024.
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