Des andern Tages, sobald das Wetter sich abgestillt hatte, hoben wir unser Bog- spriet aus; befestigten es, so gut es gehen wollte, an dem Stumpf des abgebrochenen Mastes; takelten diesen Nothmast nach Mög- lichkeit zu, und zogen daran ein paar Se- gel auf, die wir noch in Vorrath besaßen. Der Wind hatte sich gedreht und blies aus Ostsüdost, längs dem Lande hin; so daß wir hoffen durften, uns von demselben zu entfer- nen. Um aber auch das ermangelnde Steuer- ruder durch irgend etwas zu ersetzen, ließ ich ein Ankertau, vom Hintertheil hinaus, etwa 20 Klafter lang an einem großen Klotze treiben; und indem von vorne gleichfalls an jeder Seite ein Tau mit diesem Klotze zu- sammenhieng, ließ sich das Schiff daran zur Nothdurft links oder rechts umholen; obwohl freilich nicht daran zu denken war, mittelst eines so unzulänglichen Behelfs einen ordent- lichen Kurs zu halten. Vielmehr trieben wir, bei anhaltendem Ostwinde, auf Gottes Gnade, immer weiter in die spanische See und auf das atlantische Meer hinaus, und erkannten es für unser größtes Glück, daß wir noch ein dichtes Schiff behalten hatten.
Jn der That kann man sich unsre Lage nicht mißlich genug denken. Leben und Seele war gleichsam aus unserm Schiffe gewichen. Jeder Veränderung des Windes preißgege-
Des andern Tages, ſobald das Wetter ſich abgeſtillt hatte, hoben wir unſer Bog- ſpriet aus; befeſtigten es, ſo gut es gehen wollte, an dem Stumpf des abgebrochenen Maſtes; takelten dieſen Nothmaſt nach Moͤg- lichkeit zu, und zogen daran ein paar Se- gel auf, die wir noch in Vorrath beſaßen. Der Wind hatte ſich gedreht und blies aus Oſtſuͤdoſt, laͤngs dem Lande hin; ſo daß wir hoffen durften, uns von demſelben zu entfer- nen. Um aber auch das ermangelnde Steuer- ruder durch irgend etwas zu erſetzen, ließ ich ein Ankertau, vom Hintertheil hinaus, etwa 20 Klafter lang an einem großen Klotze treiben; und indem von vorne gleichfalls an jeder Seite ein Tau mit dieſem Klotze zu- ſammenhieng, ließ ſich das Schiff daran zur Nothdurft links oder rechts umholen; obwohl freilich nicht daran zu denken war, mittelſt eines ſo unzulaͤnglichen Behelfs einen ordent- lichen Kurs zu halten. Vielmehr trieben wir, bei anhaltendem Oſtwinde, auf Gottes Gnade, immer weiter in die ſpaniſche See und auf das atlantiſche Meer hinaus, und erkannten es fuͤr unſer groͤßtes Gluͤck, daß wir noch ein dichtes Schiff behalten hatten.
Jn der That kann man ſich unſre Lage nicht mißlich genug denken. Leben und Seele war gleichſam aus unſerm Schiffe gewichen. Jeder Veraͤnderung des Windes preißgege-
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Des andern Tages, ſobald das Wetter
ſich abgeſtillt hatte, hoben wir unſer Bog-
ſpriet aus; befeſtigten es, ſo gut es gehen
wollte, an dem Stumpf des abgebrochenen
Maſtes; takelten dieſen Nothmaſt nach Moͤg-
lichkeit zu, und zogen daran ein paar Se-
gel auf, die wir noch in Vorrath beſaßen.
Der Wind hatte ſich gedreht und blies aus
Oſtſuͤdoſt, laͤngs dem Lande hin; ſo daß wir
hoffen durften, uns von demſelben zu entfer-
nen. Um aber auch das ermangelnde Steuer-
ruder durch irgend etwas zu erſetzen, ließ
ich ein Ankertau, vom Hintertheil hinaus,
etwa 20 Klafter lang an einem großen Klotze
treiben; und indem von vorne gleichfalls an
jeder Seite ein Tau mit dieſem Klotze zu-
ſammenhieng, ließ ſich das Schiff daran zur
Nothdurft links oder rechts umholen; obwohl
freilich nicht daran zu denken war, mittelſt
eines ſo unzulaͤnglichen Behelfs einen ordent-
lichen Kurs zu halten. Vielmehr trieben
wir, bei anhaltendem Oſtwinde, auf Gottes
Gnade, immer weiter in die ſpaniſche See
und auf das atlantiſche Meer hinaus, und
erkannten es fuͤr unſer groͤßtes Gluͤck, daß
wir noch ein dichtes Schiff behalten hatten.
Jn der That kann man ſich unſre Lage
nicht mißlich genug denken. Leben und Seele
war gleichſam aus unſerm Schiffe gewichen.
Jeder Veraͤnderung des Windes preißgege-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/244>, abgerufen am 23.11.2024.
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