selige Nacht zu, und wußten nicht, wo Trost und Hülfe zu finden.
Kaum graute auch nur der Morgen, so machten wir uns wieder nach dem Kloster auf den Weg, wo wir unsern armen Leiden- den, unter fortwährendem Gestöhn und Seuf- zen, noch in dem nemlichen Zustande, wie gestern, fanden. Was konnten wir abermals thun, als um ihn her stehen und die Luft mit unsern Klagen erfüllen? Jndeß hatte man uns, auf unsre Nachfrage, verständigt, daß heute Posttag sey; und so ließ ich mir im Gasthofe Papier und übrige Zubehör reichen und brachte den Rest des Tages damit zu, sowohl an unsern Schiffs-Rheeder, Herrn Becker, als an meine Eltern nach Colberg, zu schreiben und ihnen Meldung von unserm erlittenen Unglück zu thun. Die Briefe wur- den versiegelt; und am nächsten Morgen stan- den wir wiederum, von Herzen betrübt, am Bette unsers Kranken, ohne daß wir eine merkliche Veränderung an ihm spürten. Jch beugte mich indeß dicht zu seinem Ohre und versuchte die Frage: "Lieber Vatersbruder, sollen wir auch nach Colberg schreiben?" -- Er hatte mich verstanden: denn er schüttelte mit dem Kopfe, als ob er Nein! sagen wollte. So schwach auch dieser Hoffnungsstrahl seiner wiederkehrenden Besinnung war, so erfüllte er mich doch mit Muth, daß wohl noch Al-
ſelige Nacht zu, und wußten nicht, wo Troſt und Huͤlfe zu finden.
Kaum graute auch nur der Morgen, ſo machten wir uns wieder nach dem Kloſter auf den Weg, wo wir unſern armen Leiden- den, unter fortwaͤhrendem Geſtoͤhn und Seuf- zen, noch in dem nemlichen Zuſtande, wie geſtern, fanden. Was konnten wir abermals thun, als um ihn her ſtehen und die Luft mit unſern Klagen erfuͤllen? Jndeß hatte man uns, auf unſre Nachfrage, verſtaͤndigt, daß heute Poſttag ſey; und ſo ließ ich mir im Gaſthofe Papier und uͤbrige Zubehoͤr reichen und brachte den Reſt des Tages damit zu, ſowohl an unſern Schiffs-Rheeder, Herrn Becker, als an meine Eltern nach Colberg, zu ſchreiben und ihnen Meldung von unſerm erlittenen Ungluͤck zu thun. Die Briefe wur- den verſiegelt; und am naͤchſten Morgen ſtan- den wir wiederum, von Herzen betruͤbt, am Bette unſers Kranken, ohne daß wir eine merkliche Veraͤnderung an ihm ſpuͤrten. Jch beugte mich indeß dicht zu ſeinem Ohre und verſuchte die Frage: „Lieber Vatersbruder, ſollen wir auch nach Colberg ſchreiben?‟ — Er hatte mich verſtanden: denn er ſchuͤttelte mit dem Kopfe, als ob er Nein! ſagen wollte. So ſchwach auch dieſer Hoffnungsſtrahl ſeiner wiederkehrenden Beſinnung war, ſo erfuͤllte er mich doch mit Muth, daß wohl noch Al-
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ſelige Nacht zu, und wußten nicht, wo Troſt
und Huͤlfe zu finden.
Kaum graute auch nur der Morgen, ſo
machten wir uns wieder nach dem Kloſter
auf den Weg, wo wir unſern armen Leiden-
den, unter fortwaͤhrendem Geſtoͤhn und Seuf-
zen, noch in dem nemlichen Zuſtande, wie
geſtern, fanden. Was konnten wir abermals
thun, als um ihn her ſtehen und die Luft
mit unſern Klagen erfuͤllen? Jndeß hatte
man uns, auf unſre Nachfrage, verſtaͤndigt,
daß heute Poſttag ſey; und ſo ließ ich mir
im Gaſthofe Papier und uͤbrige Zubehoͤr reichen
und brachte den Reſt des Tages damit zu,
ſowohl an unſern Schiffs-Rheeder, Herrn
Becker, als an meine Eltern nach Colberg,
zu ſchreiben und ihnen Meldung von unſerm
erlittenen Ungluͤck zu thun. Die Briefe wur-
den verſiegelt; und am naͤchſten Morgen ſtan-
den wir wiederum, von Herzen betruͤbt, am
Bette unſers Kranken, ohne daß wir eine
merkliche Veraͤnderung an ihm ſpuͤrten. Jch
beugte mich indeß dicht zu ſeinem Ohre und
verſuchte die Frage: „Lieber Vatersbruder,
ſollen wir auch nach Colberg ſchreiben?‟ —
Er hatte mich verſtanden: denn er ſchuͤttelte
mit dem Kopfe, als ob er Nein! ſagen wollte.
So ſchwach auch dieſer Hoffnungsſtrahl ſeiner
wiederkehrenden Beſinnung war, ſo erfuͤllte
er mich doch mit Muth, daß wohl noch Al-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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