Fünf Tage war ich im lieben Vaterhause lang gewesen und von der Noth kaum wie- der ein wenig zur Besinnung gekommen, als schon wieder ein neuer Unglücksstern über mir aufgieng. Denn da hieß es: Die Un- terofficiere von unserm Bataillon, welches damals seine Winter-Quartiere in Torgau hatte, hätten sich bei uns eingefunden, um frische Rekruten in diesem ihrem Canton auszuheben. Eine Schreckenszeitung für alle Eltern jener Zeit, so wie für alles junge Volk, das eine Flinte schleppen konnte und nicht mochte!
Diese entschiedene Abneigung des Bür- gers gegen den Soldatenstand hatte aber auch ihre genugsame Rechtfertigung in der heillosen und unmenschlichen Art, womit die jungen Leute beim Exerziren, zumal von den dazu angestellten Unterofficieren, behan- delt wurden. Unter den Fenstern ihrer El- tern selbst, auf öffentlichem Markte, wurden sie von diesen rohen Menschen bei solchen Einübungen mit Schieben, Stoßen und Prü- geln auf's grausamste gemißhandelt; -- oft nur, um ihre neue Autorität fühlen zu las- sen, oft aber auch wohl in der eigennützigen Absicht, um von den Angehörigen Gaben und Geschenke zu erpressen. Es war ein kläglicher Anblick, wenn die Mütter bei sol-
Fuͤnf Tage war ich im lieben Vaterhauſe lang geweſen und von der Noth kaum wie- der ein wenig zur Beſinnung gekommen, als ſchon wieder ein neuer Ungluͤcksſtern uͤber mir aufgieng. Denn da hieß es: Die Un- terofficiere von unſerm Bataillon, welches damals ſeine Winter-Quartiere in Torgau hatte, haͤtten ſich bei uns eingefunden, um friſche Rekruten in dieſem ihrem Canton auszuheben. Eine Schreckenszeitung fuͤr alle Eltern jener Zeit, ſo wie fuͤr alles junge Volk, das eine Flinte ſchleppen konnte und nicht mochte!
Dieſe entſchiedene Abneigung des Buͤr- gers gegen den Soldatenſtand hatte aber auch ihre genugſame Rechtfertigung in der heilloſen und unmenſchlichen Art, womit die jungen Leute beim Exerziren, zumal von den dazu angeſtellten Unterofficieren, behan- delt wurden. Unter den Fenſtern ihrer El- tern ſelbſt, auf oͤffentlichem Markte, wurden ſie von dieſen rohen Menſchen bei ſolchen Einuͤbungen mit Schieben, Stoßen und Pruͤ- geln auf’s grauſamſte gemißhandelt; — oft nur, um ihre neue Autoritaͤt fuͤhlen zu laſ- ſen, oft aber auch wohl in der eigennuͤtzigen Abſicht, um von den Angehoͤrigen Gaben und Geſchenke zu erpreſſen. Es war ein klaͤglicher Anblick, wenn die Muͤtter bei ſol-
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Fuͤnf Tage war ich im lieben Vaterhauſe
lang geweſen und von der Noth kaum wie-
der ein wenig zur Beſinnung gekommen, als
ſchon wieder ein neuer Ungluͤcksſtern uͤber
mir aufgieng. Denn da hieß es: Die Un-
terofficiere von unſerm Bataillon, welches
damals ſeine Winter-Quartiere in Torgau
hatte, haͤtten ſich bei uns eingefunden, um
friſche Rekruten in dieſem ihrem Canton
auszuheben. Eine Schreckenszeitung fuͤr alle
Eltern jener Zeit, ſo wie fuͤr alles junge
Volk, das eine Flinte ſchleppen konnte und
nicht mochte!
Dieſe entſchiedene Abneigung des Buͤr-
gers gegen den Soldatenſtand hatte aber
auch ihre genugſame Rechtfertigung in der
heilloſen und unmenſchlichen Art, womit die
jungen Leute beim Exerziren, zumal von
den dazu angeſtellten Unterofficieren, behan-
delt wurden. Unter den Fenſtern ihrer El-
tern ſelbſt, auf oͤffentlichem Markte, wurden
ſie von dieſen rohen Menſchen bei ſolchen
Einuͤbungen mit Schieben, Stoßen und Pruͤ-
geln auf’s grauſamſte gemißhandelt; — oft
nur, um ihre neue Autoritaͤt fuͤhlen zu laſ-
ſen, oft aber auch wohl in der eigennuͤtzigen
Abſicht, um von den Angehoͤrigen Gaben
und Geſchenke zu erpreſſen. Es war ein
klaͤglicher Anblick, wenn die Muͤtter bei ſol-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 1. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung01_1821/99>, abgerufen am 16.05.2024.
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