Während ich hier den Winter über, wo es nichts für mich zu thun gab, bis in den Merz 1775 verweilte, hatt' ich genügliche Muße, über meine Lebenslage, und was ich ferner thun und treiben sollte, reiflich nach- zudenken. Jch hatte jetzt meine vollen 37 Jahre auf dem Nacken; hatte, unter tausend Gefahren und Mühseligkeiten und unter allen Himmelsstrichen, meine besten Jahre und Kräfte im Dienst von Fremden ver- schwendet, und sah immer deutlicher ein, wie wohl ich thun würde, mit meinen Erfahrun- gen, und was ich sonst irgend vermöchte, meinem Vaterlande und mir selbst zu dienen. Dies brachte mich denn auch zu dem Ent- schlusse, mein ferneres Glück und Fortkom- men am liebsten in meiner Vaterstadt, an der ich noch immer mit ganzer Seele hieng, zu suchen; und demzufolge begab ich mich auch sofort, nach wieder eröffneter Schiffahrt, als Passagier von Amsterdam nach Swinemünde, von wo ich mich sodann nach Colberg ver- fügte.
Eigentlich aber kam ich doch schon für dies Jahr zu spät, um eine Anstellung im Seewesen zu finden, wie sie mir am gemüth- lichsten gewesen wäre. Jch begnügte mich also, nach alter Weise, wieder eine Naviga- tions-Schule zu eröffnen, um junge Leute für den Seedienst zu bilden: denn an solchen
Waͤhrend ich hier den Winter uͤber, wo es nichts fuͤr mich zu thun gab, bis in den Merz 1775 verweilte, hatt’ ich genuͤgliche Muße, uͤber meine Lebenslage, und was ich ferner thun und treiben ſollte, reiflich nach- zudenken. Jch hatte jetzt meine vollen 37 Jahre auf dem Nacken; hatte, unter tauſend Gefahren und Muͤhſeligkeiten und unter allen Himmelsſtrichen, meine beſten Jahre und Kraͤfte im Dienſt von Fremden ver- ſchwendet, und ſah immer deutlicher ein, wie wohl ich thun wuͤrde, mit meinen Erfahrun- gen, und was ich ſonſt irgend vermoͤchte, meinem Vaterlande und mir ſelbſt zu dienen. Dies brachte mich denn auch zu dem Ent- ſchluſſe, mein ferneres Gluͤck und Fortkom- men am liebſten in meiner Vaterſtadt, an der ich noch immer mit ganzer Seele hieng, zu ſuchen; und demzufolge begab ich mich auch ſofort, nach wieder eroͤffneter Schiffahrt, als Paſſagier von Amſterdam nach Swinemuͤnde, von wo ich mich ſodann nach Colberg ver- fuͤgte.
Eigentlich aber kam ich doch ſchon fuͤr dies Jahr zu ſpaͤt, um eine Anſtellung im Seeweſen zu finden, wie ſie mir am gemuͤth- lichſten geweſen waͤre. Jch begnuͤgte mich alſo, nach alter Weiſe, wieder eine Naviga- tions-Schule zu eroͤffnen, um junge Leute fuͤr den Seedienſt zu bilden: denn an ſolchen
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Waͤhrend ich hier den Winter uͤber, wo
es nichts fuͤr mich zu thun gab, bis in den
Merz 1775 verweilte, hatt’ ich genuͤgliche
Muße, uͤber meine Lebenslage, und was ich
ferner thun und treiben ſollte, reiflich nach-
zudenken. Jch hatte jetzt meine vollen 37
Jahre auf dem Nacken; hatte, unter tauſend
Gefahren und Muͤhſeligkeiten und unter
allen Himmelsſtrichen, meine beſten Jahre
und Kraͤfte im Dienſt von Fremden ver-
ſchwendet, und ſah immer deutlicher ein, wie
wohl ich thun wuͤrde, mit meinen Erfahrun-
gen, und was ich ſonſt irgend vermoͤchte,
meinem Vaterlande und mir ſelbſt zu dienen.
Dies brachte mich denn auch zu dem Ent-
ſchluſſe, mein ferneres Gluͤck und Fortkom-
men am liebſten in meiner Vaterſtadt, an der
ich noch immer mit ganzer Seele hieng, zu
ſuchen; und demzufolge begab ich mich auch
ſofort, nach wieder eroͤffneter Schiffahrt, als
Paſſagier von Amſterdam nach Swinemuͤnde,
von wo ich mich ſodann nach Colberg ver-
fuͤgte.
Eigentlich aber kam ich doch ſchon fuͤr
dies Jahr zu ſpaͤt, um eine Anſtellung im
Seeweſen zu finden, wie ſie mir am gemuͤth-
lichſten geweſen waͤre. Jch begnuͤgte mich
alſo, nach alter Weiſe, wieder eine Naviga-
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fuͤr den Seedienſt zu bilden: denn an ſolchen
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/119>, abgerufen am 19.07.2024.
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