dermaassen schrecklicher Sturm aus Nordosten überfiel, wie ich ihn kaum jemals erlebt habe, und wie er in dieser beengten Meeresgegend verdoppelte Gefahr drohte. Am Abend vor- her zählte ich in meinem Gesichtskreise, auf etwa 2 Meilen umher, nicht weniger, als 42 Segel, die, gleich mir, nach dem Sunde steu- erten. Der Sturm verstärkte sich aber von Stunde zu Stunde; so daß ich endlich keinen einzigen Lappen Segel führen konnte und mit jeder Woge fürchten mußte, auf eine blinde Klippe zu stoßen, welche hier Meilenweit vom Lande zu Hunderten umhergesäet sind. Doch Gott erhielt uns wunderbarlich; des nächsten Morgens aber waren von jenen 42 Schiffen nah und fern nicht mehr als 14 zu erblicken; und gewiß gieng der größte Theil der fehlenden in dieser entsetzlichen Nacht zu Grunde. Für uns Geretteten hin- gegen stieg alsobald wieder ein freundliches Wetter auf, das uns glücklich nach dem Sunde führte.
Hier nicht länger, als unumgänglich noth- wendig war, zu verweilen, gab es noch einen geheimen, aber meinem Herzen angelegenen Grund für mich. Jch hatte meinem Vater, schon von Hamburg aus, nach Colberg ge- schrieben, daß ich auf dieser Reise Alles dransetzen würde, mich der Rheede meiner Geburtsstadt dergestalt zu nähern, daß ich
dermaaſſen ſchrecklicher Sturm aus Nordoſten uͤberfiel, wie ich ihn kaum jemals erlebt habe, und wie er in dieſer beengten Meeresgegend verdoppelte Gefahr drohte. Am Abend vor- her zaͤhlte ich in meinem Geſichtskreiſe, auf etwa 2 Meilen umher, nicht weniger, als 42 Segel, die, gleich mir, nach dem Sunde ſteu- erten. Der Sturm verſtaͤrkte ſich aber von Stunde zu Stunde; ſo daß ich endlich keinen einzigen Lappen Segel fuͤhren konnte und mit jeder Woge fuͤrchten mußte, auf eine blinde Klippe zu ſtoßen, welche hier Meilenweit vom Lande zu Hunderten umhergeſaͤet ſind. Doch Gott erhielt uns wunderbarlich; des naͤchſten Morgens aber waren von jenen 42 Schiffen nah und fern nicht mehr als 14 zu erblicken; und gewiß gieng der groͤßte Theil der fehlenden in dieſer entſetzlichen Nacht zu Grunde. Fuͤr uns Geretteten hin- gegen ſtieg alſobald wieder ein freundliches Wetter auf, das uns gluͤcklich nach dem Sunde fuͤhrte.
Hier nicht laͤnger, als unumgaͤnglich noth- wendig war, zu verweilen, gab es noch einen geheimen, aber meinem Herzen angelegenen Grund fuͤr mich. Jch hatte meinem Vater, ſchon von Hamburg aus, nach Colberg ge- ſchrieben, daß ich auf dieſer Reiſe Alles dranſetzen wuͤrde, mich der Rheede meiner Geburtsſtadt dergeſtalt zu naͤhern, daß ich
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dermaaſſen ſchrecklicher Sturm aus Nordoſten
uͤberfiel, wie ich ihn kaum jemals erlebt habe,
und wie er in dieſer beengten Meeresgegend
verdoppelte Gefahr drohte. Am Abend vor-
her zaͤhlte ich in meinem Geſichtskreiſe, auf
etwa 2 Meilen umher, nicht weniger, als 42
Segel, die, gleich mir, nach dem Sunde ſteu-
erten. Der Sturm verſtaͤrkte ſich aber von
Stunde zu Stunde; ſo daß ich endlich keinen
einzigen Lappen Segel fuͤhren konnte und mit
jeder Woge fuͤrchten mußte, auf eine blinde
Klippe zu ſtoßen, welche hier Meilenweit
vom Lande zu Hunderten umhergeſaͤet ſind.
Doch Gott erhielt uns wunderbarlich; des
naͤchſten Morgens aber waren von jenen 42
Schiffen nah und fern nicht mehr als 14
zu erblicken; und gewiß gieng der groͤßte
Theil der fehlenden in dieſer entſetzlichen
Nacht zu Grunde. Fuͤr uns Geretteten hin-
gegen ſtieg alſobald wieder ein freundliches
Wetter auf, das uns gluͤcklich nach dem Sunde
fuͤhrte.
Hier nicht laͤnger, als unumgaͤnglich noth-
wendig war, zu verweilen, gab es noch einen
geheimen, aber meinem Herzen angelegenen
Grund fuͤr mich. Jch hatte meinem Vater,
ſchon von Hamburg aus, nach Colberg ge-
ſchrieben, daß ich auf dieſer Reiſe Alles
dranſetzen wuͤrde, mich der Rheede meiner
Geburtsſtadt dergeſtalt zu naͤhern, daß ich
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/230>, abgerufen am 02.05.2024.
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