gesicht von Memel brachte. Hier aber hatt' er sich allmählig in einen Sturm verwandelt, der es den Lootsen unmöglich machte, zu uns heranzukommen; und keck, wie ich war, un- ternahm ich mir's, auf meine eigne Gefahr auf den Hafen zuzusetzen. Das Wagstück ließ sich auch gut genug an, bis ich zwischen die beiden Haken kam, wo sich's fand, daß das Fahrwasser viel zu westlich lief, als daß ich mich mit diesem Winde gegen dasselbe wenden konnte. Zwar machte ich, da hier Noth an Mann gieng, den verzweifelten Versuch: allein das Schiff wollte dem Steuer nicht länger folgen und trieb augenscheinlich gerade auf den Nord-Haken zu.
Jetzt stand, mit der Entschliessung des nächsten Augenblicks, unser Leben und Alles auf dem Spiel. Jch ergriff ein Beil, kappte flugs das Bogreep und die übrigen Leinen, woran der Anker sich hielt, und der nun mit seinem ganzen vollen Gewicht in den Grund fiel. Nun hatte das Schiff für den Moment den fehlenden festen Stützpunkt gefunden; es schwang sich um den Anker, und kaum hatt' es sich, auf diese Weise, nach Wunsch ge- wandt, so hieb ich mit einem kräftigen Streiche auch das Ankertau entzwei; ließ den Anker stehen, und kam glücklich und ohne Schaden wieder in See; bis des andern Tages der
geſicht von Memel brachte. Hier aber hatt’ er ſich allmaͤhlig in einen Sturm verwandelt, der es den Lootſen unmoͤglich machte, zu uns heranzukommen; und keck, wie ich war, un- ternahm ich mir’s, auf meine eigne Gefahr auf den Hafen zuzuſetzen. Das Wagſtuͤck ließ ſich auch gut genug an, bis ich zwiſchen die beiden Haken kam, wo ſich’s fand, daß das Fahrwaſſer viel zu weſtlich lief, als daß ich mich mit dieſem Winde gegen daſſelbe wenden konnte. Zwar machte ich, da hier Noth an Mann gieng, den verzweifelten Verſuch: allein das Schiff wollte dem Steuer nicht laͤnger folgen und trieb augenſcheinlich gerade auf den Nord-Haken zu.
Jetzt ſtand, mit der Entſchlieſſung des naͤchſten Augenblicks, unſer Leben und Alles auf dem Spiel. Jch ergriff ein Beil, kappte flugs das Bogreep und die uͤbrigen Leinen, woran der Anker ſich hielt, und der nun mit ſeinem ganzen vollen Gewicht in den Grund fiel. Nun hatte das Schiff fuͤr den Moment den fehlenden feſten Stuͤtzpunkt gefunden; es ſchwang ſich um den Anker, und kaum hatt’ es ſich, auf dieſe Weiſe, nach Wunſch ge- wandt, ſo hieb ich mit einem kraͤftigen Streiche auch das Ankertau entzwei; ließ den Anker ſtehen, und kam gluͤcklich und ohne Schaden wieder in See; bis des andern Tages der
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geſicht von Memel brachte. Hier aber hatt’
er ſich allmaͤhlig in einen Sturm verwandelt,
der es den Lootſen unmoͤglich machte, zu uns
heranzukommen; und keck, wie ich war, un-
ternahm ich mir’s, auf meine eigne Gefahr
auf den Hafen zuzuſetzen. Das Wagſtuͤck
ließ ſich auch gut genug an, bis ich zwiſchen
die beiden Haken kam, wo ſich’s fand, daß
das Fahrwaſſer viel zu weſtlich lief, als daß
ich mich mit dieſem Winde gegen daſſelbe
wenden konnte. Zwar machte ich, da hier
Noth an Mann gieng, den verzweifelten
Verſuch: allein das Schiff wollte dem Steuer
nicht laͤnger folgen und trieb augenſcheinlich
gerade auf den Nord-Haken zu.
Jetzt ſtand, mit der Entſchlieſſung des
naͤchſten Augenblicks, unſer Leben und Alles
auf dem Spiel. Jch ergriff ein Beil, kappte
flugs das Bogreep und die uͤbrigen Leinen,
woran der Anker ſich hielt, und der nun mit
ſeinem ganzen vollen Gewicht in den Grund
fiel. Nun hatte das Schiff fuͤr den Moment
den fehlenden feſten Stuͤtzpunkt gefunden; es
ſchwang ſich um den Anker, und kaum hatt’
es ſich, auf dieſe Weiſe, nach Wunſch ge-
wandt, ſo hieb ich mit einem kraͤftigen Streiche
auch das Ankertau entzwei; ließ den Anker
ſtehen, und kam gluͤcklich und ohne Schaden
wieder in See; bis des andern Tages der
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/232>, abgerufen am 03.05.2024.
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