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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823.

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zu folgen, als er mir bereits auf der Brücke des
Münder-Thors begegnete. Neben ihm gieng ein
Mann, den ich nicht kannte und der mit dem
Schiffe gekommen zu seyn schien. Dieser Frem-
de, ein junger rüstiger Mann, von edler Hal-
tung, gefiel mir auf den ersten Blick, ohne daß
ich wußte und sagen konnte, warum? Da in-
deß mein Anbringen an den Vice-Commandan-
ten eilig war, zog ich ihn bei der Hand etwas
abwärts, um es ihm, des fremden Mannes we-
gen, in's Ohr zu flüstern. Waldenfels aber lä-
chelte zu meiner Vorsicht und sagte: "Kommen
Sie nur; in meinem Quartier wird ein beque-
merer Ort dazu seyn."

Als wir dort angekommen und unter sechs
Augen waren, wandte sich der Hauptmann zu
mir, mit den Worten: "Freuen Sie sich, alter
Freund! Dieser Herr hier -- Major von Gnei-
senau -- ist der neue Commandant, den uns der
König geschickt hat;" -- und zu seinem Gaste:
"Dies ist der alte Nettelbeck!" -- Ein freudiges
Erschrecken fuhr mir durch alle Glieder; mein
Herz schlug mir hoch im Busen, und die Thrä-
nen stürzten mir unaufhaltsam aus den alten
Augen. Zugleich zitterten mir die Kniee unter'm
Leibe; ich fiel vor unserm neuen Schutzgeist in
hoher Rührung auf die Kniee, umklammerte ihn
und rief aus: "Jch bitte Sie um Gottes wil-
len! Verlassen Sie uns nicht: wir wollen Sie
auch nicht verlassen, solange wir noch einen war-

zu folgen, als er mir bereits auf der Bruͤcke des
Muͤnder-Thors begegnete. Neben ihm gieng ein
Mann, den ich nicht kannte und der mit dem
Schiffe gekommen zu ſeyn ſchien. Dieſer Frem-
de, ein junger ruͤſtiger Mann, von edler Hal-
tung, gefiel mir auf den erſten Blick, ohne daß
ich wußte und ſagen konnte, warum? Da in-
deß mein Anbringen an den Vice-Commandan-
ten eilig war, zog ich ihn bei der Hand etwas
abwaͤrts, um es ihm, des fremden Mannes we-
gen, in’s Ohr zu fluͤſtern. Waldenfels aber laͤ-
chelte zu meiner Vorſicht und ſagte: „Kommen
Sie nur; in meinem Quartier wird ein beque-
merer Ort dazu ſeyn.‟

Als wir dort angekommen und unter ſechs
Augen waren, wandte ſich der Hauptmann zu
mir, mit den Worten: „Freuen Sie ſich, alter
Freund! Dieſer Herr hier — Major von Gnei-
ſenau — iſt der neue Commandant, den uns der
Koͤnig geſchickt hat;‟ — und zu ſeinem Gaſte:
„Dies iſt der alte Nettelbeck!‟ — Ein freudiges
Erſchrecken fuhr mir durch alle Glieder; mein
Herz ſchlug mir hoch im Buſen, und die Thraͤ-
nen ſtuͤrzten mir unaufhaltſam aus den alten
Augen. Zugleich zitterten mir die Kniee unter’m
Leibe; ich fiel vor unſerm neuen Schutzgeiſt in
hoher Ruͤhrung auf die Kniee, umklammerte ihn
und rief aus: „Jch bitte Sie um Gottes wil-
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[105/0121] zu folgen, als er mir bereits auf der Bruͤcke des Muͤnder-Thors begegnete. Neben ihm gieng ein Mann, den ich nicht kannte und der mit dem Schiffe gekommen zu ſeyn ſchien. Dieſer Frem- de, ein junger ruͤſtiger Mann, von edler Hal- tung, gefiel mir auf den erſten Blick, ohne daß ich wußte und ſagen konnte, warum? Da in- deß mein Anbringen an den Vice-Commandan- ten eilig war, zog ich ihn bei der Hand etwas abwaͤrts, um es ihm, des fremden Mannes we- gen, in’s Ohr zu fluͤſtern. Waldenfels aber laͤ- chelte zu meiner Vorſicht und ſagte: „Kommen Sie nur; in meinem Quartier wird ein beque- merer Ort dazu ſeyn.‟ Als wir dort angekommen und unter ſechs Augen waren, wandte ſich der Hauptmann zu mir, mit den Worten: „Freuen Sie ſich, alter Freund! Dieſer Herr hier — Major von Gnei- ſenau — iſt der neue Commandant, den uns der Koͤnig geſchickt hat;‟ — und zu ſeinem Gaſte: „Dies iſt der alte Nettelbeck!‟ — Ein freudiges Erſchrecken fuhr mir durch alle Glieder; mein Herz ſchlug mir hoch im Buſen, und die Thraͤ- nen ſtuͤrzten mir unaufhaltſam aus den alten Augen. Zugleich zitterten mir die Kniee unter’m Leibe; ich fiel vor unſerm neuen Schutzgeiſt in hoher Ruͤhrung auf die Kniee, umklammerte ihn und rief aus: „Jch bitte Sie um Gottes wil- len! Verlaſſen Sie uns nicht: wir wollen Sie auch nicht verlaſſen, ſolange wir noch einen war-

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Zitationshilfe: Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/121>, abgerufen am 04.12.2024.