dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er früherhin, bei all seinem überbrausenden Muthe, den schwachen Loucadou nicht besser in Athem zu setzen versucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm in's Angesicht, diese unzeitige Nachgiebigkeit: aber er wußte mich immer wieder zu begütigen, indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe- stehendem Subordinations-Verhältniß, durch offne Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert als gefördert worden wäre?
Erobert war die Schanze allerdings: hätte sie nur auch länger, als wenige Augenblicke, be- hauptet werden können! Eine neue feindliche Colonne, entschlossen, ihres Heerführers Tod zu rächen und des verlornen Postens um jeden Preis wieder Herr zu werden, rückte unverzüglich her- an. Das Gefecht begann wiederum und ward, bei der überlegenen Zahl der Angreifenden, bald so ungleich, daß keine andre Wahl übrig blieb, als uns fechtend in die Stadt zurückzuziehen. -- Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete gehabt; und nur mit harter Mühe war mir's ge- lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen zeigte ich mich, mit einem weissen Tuche an mei- nen Stock befestigt, als Parlementair den feind- lichen Vorposten nächst jener Schanze und bat um die Vergünstigung, unsre noch umherliegende Todte aufsammlen zu dürfen. Das bedurfte, wie gewöhnlich, endloser Formalitäten; doch erreichte
dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er fruͤherhin, bei all ſeinem uͤberbrauſenden Muthe, den ſchwachen Loucadou nicht beſſer in Athem zu ſetzen verſucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm in’s Angeſicht, dieſe unzeitige Nachgiebigkeit: aber er wußte mich immer wieder zu beguͤtigen, indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe- ſtehendem Subordinations-Verhaͤltniß, durch offne Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert als gefoͤrdert worden waͤre?
Erobert war die Schanze allerdings: haͤtte ſie nur auch laͤnger, als wenige Augenblicke, be- hauptet werden koͤnnen! Eine neue feindliche Colonne, entſchloſſen, ihres Heerfuͤhrers Tod zu raͤchen und des verlornen Poſtens um jeden Preis wieder Herr zu werden, ruͤckte unverzuͤglich her- an. Das Gefecht begann wiederum und ward, bei der uͤberlegenen Zahl der Angreifenden, bald ſo ungleich, daß keine andre Wahl uͤbrig blieb, als uns fechtend in die Stadt zuruͤckzuziehen. — Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete gehabt; und nur mit harter Muͤhe war mir’s ge- lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen zeigte ich mich, mit einem weiſſen Tuche an mei- nen Stock befeſtigt, als Parlementair den feind- lichen Vorpoſten naͤchſt jener Schanze und bat um die Verguͤnſtigung, unſre noch umherliegende Todte aufſammlen zu duͤrfen. Das bedurfte, wie gewoͤhnlich, endloſer Formalitaͤten; doch erreichte
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dem wir nichts vorzuwerfen hatten, als daß er
fruͤherhin, bei all ſeinem uͤberbrauſenden Muthe,
den ſchwachen Loucadou nicht beſſer in Athem zu
ſetzen verſucht hatte. Oft genug tadelte ich, ihm
in’s Angeſicht, dieſe unzeitige Nachgiebigkeit:
aber er wußte mich immer wieder zu beguͤtigen,
indem er mich fragte: Was denn, bei fortbe-
ſtehendem Subordinations-Verhaͤltniß, durch offne
Fehde des Guten nicht noch viel mehr gehindert
als gefoͤrdert worden waͤre?
Erobert war die Schanze allerdings: haͤtte
ſie nur auch laͤnger, als wenige Augenblicke, be-
hauptet werden koͤnnen! Eine neue feindliche
Colonne, entſchloſſen, ihres Heerfuͤhrers Tod zu
raͤchen und des verlornen Poſtens um jeden Preis
wieder Herr zu werden, ruͤckte unverzuͤglich her-
an. Das Gefecht begann wiederum und ward,
bei der uͤberlegenen Zahl der Angreifenden, bald
ſo ungleich, daß keine andre Wahl uͤbrig blieb,
als uns fechtend in die Stadt zuruͤckzuziehen. —
Vorhin und jetzt hatten wir an Officieren und
Gemeinen mehr als 20 Todte und Verwundete
gehabt; und nur mit harter Muͤhe war mir’s ge-
lungen, die Letzteren aufzunehmen. Am Morgen
zeigte ich mich, mit einem weiſſen Tuche an mei-
nen Stock befeſtigt, als Parlementair den feind-
lichen Vorpoſten naͤchſt jener Schanze und bat
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Todte aufſammlen zu duͤrfen. Das bedurfte, wie
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/151>, abgerufen am 16.07.2024.
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