Schreckniß im Angesicht kam der Stadtzimmer- meister Kannegiesser hereingestürzt und rief: "Meine Herren, es wird ein großes Unglück ge- schehen -- Die Brücke wird zusammt dem Prahm davongehen. Jch bin nicht mehr vermögend ge- wesen, ihn darunter hervorzubringen; und noch steigt das Wasser mit jeder Minute. Kommen Sie selbst, Herr Landrath, und überzeugen sich, daß das Unglück nicht mehr abzuwenden ist."
Beide eilten hinaus; und mit dem Proto- koll hatt' es einstweilen einigen Stillstand. Da wandte sich denn der zweite Bürgermeister, Ro- loff, an mich und sagte: "Nettelbeck, Sie pfle- gen ja sonst wohl in manchen Dingen guten Rath zu wissen; zumal wo es in Jhr eigentliches Ele- ment einschlägt, wie hier. Sagen Sie doch -- Was ist dabei zu thun?"
"Jch meyne, dem ist bald abgeholfen;" war meine kurze Antwort. -- "Man bohrt ein Loch in den Prahm und läßt ihn soweit voll Wasser laufen, bis er sich hinlänglich gesenkt hat, um wieder unter der Brücke hervorzugleiten."
Kaum waren diese Worte ausgesprochen, so riß der Bürgermeister hastig das Fenster auf und schrie den Weggehenden drunten zu, augenblicklich zurückzukehren. Es geschah; und indem sie ein- traten, hub er an: "Nettelbeck schlägt so eben ein gutes Mittel vor, die Brücke zu retten." -- Jch aber wandte mich zu dem Zimmermeister: "Nehm' Er einen zweizölligen Bötticherbohrer,
Schreckniß im Angeſicht kam der Stadtzimmer- meiſter Kannegieſſer hereingeſtuͤrzt und rief: „Meine Herren, es wird ein großes Ungluͤck ge- ſchehen — Die Bruͤcke wird zuſammt dem Prahm davongehen. Jch bin nicht mehr vermoͤgend ge- weſen, ihn darunter hervorzubringen; und noch ſteigt das Waſſer mit jeder Minute. Kommen Sie ſelbſt, Herr Landrath, und uͤberzeugen ſich, daß das Ungluͤck nicht mehr abzuwenden iſt.‟
Beide eilten hinaus; und mit dem Proto- koll hatt’ es einſtweilen einigen Stillſtand. Da wandte ſich denn der zweite Buͤrgermeiſter, Ro- loff, an mich und ſagte: „Nettelbeck, Sie pfle- gen ja ſonſt wohl in manchen Dingen guten Rath zu wiſſen; zumal wo es in Jhr eigentliches Ele- ment einſchlaͤgt, wie hier. Sagen Sie doch — Was iſt dabei zu thun?‟
„Jch meyne, dem iſt bald abgeholfen;‟ war meine kurze Antwort. — „Man bohrt ein Loch in den Prahm und laͤßt ihn ſoweit voll Waſſer laufen, bis er ſich hinlaͤnglich geſenkt hat, um wieder unter der Bruͤcke hervorzugleiten.‟
Kaum waren dieſe Worte ausgeſprochen, ſo riß der Buͤrgermeiſter haſtig das Fenſter auf und ſchrie den Weggehenden drunten zu, augenblicklich zuruͤckzukehren. Es geſchah; und indem ſie ein- traten, hub er an: „Nettelbeck ſchlaͤgt ſo eben ein gutes Mittel vor, die Bruͤcke zu retten.‟ — Jch aber wandte mich zu dem Zimmermeiſter: „Nehm’ Er einen zweizoͤlligen Boͤtticherbohrer,
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Schreckniß im Angeſicht kam der Stadtzimmer-
meiſter Kannegieſſer hereingeſtuͤrzt und rief:
„Meine Herren, es wird ein großes Ungluͤck ge-
ſchehen — Die Bruͤcke wird zuſammt dem Prahm
davongehen. Jch bin nicht mehr vermoͤgend ge-
weſen, ihn darunter hervorzubringen; und noch
ſteigt das Waſſer mit jeder Minute. Kommen
Sie ſelbſt, Herr Landrath, und uͤberzeugen ſich,
daß das Ungluͤck nicht mehr abzuwenden iſt.‟
Beide eilten hinaus; und mit dem Proto-
koll hatt’ es einſtweilen einigen Stillſtand. Da
wandte ſich denn der zweite Buͤrgermeiſter, Ro-
loff, an mich und ſagte: „Nettelbeck, Sie pfle-
gen ja ſonſt wohl in manchen Dingen guten Rath
zu wiſſen; zumal wo es in Jhr eigentliches Ele-
ment einſchlaͤgt, wie hier. Sagen Sie doch —
Was iſt dabei zu thun?‟
„Jch meyne, dem iſt bald abgeholfen;‟ war
meine kurze Antwort. — „Man bohrt ein Loch
in den Prahm und laͤßt ihn ſoweit voll Waſſer
laufen, bis er ſich hinlaͤnglich geſenkt hat, um
wieder unter der Bruͤcke hervorzugleiten.‟
Kaum waren dieſe Worte ausgeſprochen, ſo
riß der Buͤrgermeiſter haſtig das Fenſter auf und
ſchrie den Weggehenden drunten zu, augenblicklich
zuruͤckzukehren. Es geſchah; und indem ſie ein-
traten, hub er an: „Nettelbeck ſchlaͤgt ſo eben
ein gutes Mittel vor, die Bruͤcke zu retten.‟ —
Jch aber wandte mich zu dem Zimmermeiſter:
„Nehm’ Er einen zweizoͤlligen Boͤtticherbohrer,
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/28>, abgerufen am 16.07.2024.
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