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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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und Stauzlus, den das Bewustseyn seiner eigenen
Wichtigkeit niemals verließ, konte, als er ihn erblickte,
sich nichts anders vorstellen, als daß er, vom Elende
daniedergedrückt, eine reinere Orthodoxie angeloben,
und sich zu anderweiter Beförderung empfehlen wollte.
Weil er aber noch nicht geneigt war, einem alten
Gegner seiner Meinungen so geschwind zu vergeben,
daß dessen Grundsätze vernünftiger gewesen als die
seinigen, so fuhr er ihn beym ersten Anblick an: "Jst
"es nicht entsetzlich, daß einen die Bettler überlaufen,
"wenn man kaum aus dem Wagen gestiegen ist! Was
"will er Freund? Denke er nur nicht, daß ich ihm
"glauben werde, wenn er mir etwas vom Verlaßen
"seiner Jrrthümer vorschwatzen will; das sind lauter
"leere Worte. Er ist viel zu lange bey seinen grund-
"stürzenden Jrrthümern verharret, als daß man von
"ihm eine aufrichtige Beßerung hoffen könte. Wir wol-
"len bey uns keine Wölfe in Schaafskleidern haben; ich
"möchte einem Menschen, der einmahl so verdammliche
"Grundsätze gehabt hat, nicht einmahl einen Küster-
"dienst anvertrauen. Was will er also von mir?
"ich kann ihm nicht helfen." -- Sebaldus antwor-
tete sehr gelassen: "Jch komme nicht meinetwegen;
"ich kenne Sie und mich zu genau, als daß ich von
"Jhnen Hülfe erwarten solte." -- "Und doch," --

"sagte



und Stauzlus, den das Bewuſtſeyn ſeiner eigenen
Wichtigkeit niemals verließ, konte, als er ihn erblickte,
ſich nichts anders vorſtellen, als daß er, vom Elende
daniedergedruͤckt, eine reinere Orthodoxie angeloben,
und ſich zu anderweiter Befoͤrderung empfehlen wollte.
Weil er aber noch nicht geneigt war, einem alten
Gegner ſeiner Meinungen ſo geſchwind zu vergeben,
daß deſſen Grundſaͤtze vernuͤnftiger geweſen als die
ſeinigen, ſo fuhr er ihn beym erſten Anblick an: „Jſt
„es nicht entſetzlich, daß einen die Bettler uͤberlaufen,
„wenn man kaum aus dem Wagen geſtiegen iſt! Was
„will er Freund? Denke er nur nicht, daß ich ihm
„glauben werde, wenn er mir etwas vom Verlaßen
„ſeiner Jrrthuͤmer vorſchwatzen will; das ſind lauter
„leere Worte. Er iſt viel zu lange bey ſeinen grund-
„ſtuͤrzenden Jrrthuͤmern verharret, als daß man von
„ihm eine aufrichtige Beßerung hoffen koͤnte. Wir wol-
„len bey uns keine Woͤlfe in Schaafskleidern haben; ich
„moͤchte einem Menſchen, der einmahl ſo verdammliche
„Grundſaͤtze gehabt hat, nicht einmahl einen Kuͤſter-
„dienſt anvertrauen. Was will er alſo von mir?
„ich kann ihm nicht helfen.‟ — Sebaldus antwor-
tete ſehr gelaſſen: „Jch komme nicht meinetwegen;
„ich kenne Sie und mich zu genau, als daß ich von
„Jhnen Huͤlfe erwarten ſolte.‟ — „Und doch,‟ —

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[141/0167] und Stauzlus, den das Bewuſtſeyn ſeiner eigenen Wichtigkeit niemals verließ, konte, als er ihn erblickte, ſich nichts anders vorſtellen, als daß er, vom Elende daniedergedruͤckt, eine reinere Orthodoxie angeloben, und ſich zu anderweiter Befoͤrderung empfehlen wollte. Weil er aber noch nicht geneigt war, einem alten Gegner ſeiner Meinungen ſo geſchwind zu vergeben, daß deſſen Grundſaͤtze vernuͤnftiger geweſen als die ſeinigen, ſo fuhr er ihn beym erſten Anblick an: „Jſt „es nicht entſetzlich, daß einen die Bettler uͤberlaufen, „wenn man kaum aus dem Wagen geſtiegen iſt! Was „will er Freund? Denke er nur nicht, daß ich ihm „glauben werde, wenn er mir etwas vom Verlaßen „ſeiner Jrrthuͤmer vorſchwatzen will; das ſind lauter „leere Worte. Er iſt viel zu lange bey ſeinen grund- „ſtuͤrzenden Jrrthuͤmern verharret, als daß man von „ihm eine aufrichtige Beßerung hoffen koͤnte. Wir wol- „len bey uns keine Woͤlfe in Schaafskleidern haben; ich „moͤchte einem Menſchen, der einmahl ſo verdammliche „Grundſaͤtze gehabt hat, nicht einmahl einen Kuͤſter- „dienſt anvertrauen. Was will er alſo von mir? „ich kann ihm nicht helfen.‟ — Sebaldus antwor- tete ſehr gelaſſen: „Jch komme nicht meinetwegen; „ich kenne Sie und mich zu genau, als daß ich von „Jhnen Huͤlfe erwarten ſolte.‟ — „Und doch,‟ — „ſagte

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/167>, abgerufen am 12.05.2024.