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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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rinnen. Sie hatten gar keine Anlage zum Hofleben.
Sie waren ein paar gute Landmädchen mit rothen Ba-
cken, die vor Gesundheit strotzten. Auf dem Hofe
herum zu springen, oder des Abends die blökenden
Heerden eintreiben zu sehen, war ein Fest für sie.
Jm leichten Röckchen und im glatten Nachthäubchen
mit himmelblauem Bande umsteckt, gefielen sie sich
besser, als in dem reichen Anzuge eines stoffenen
Schnürkleides mit Pompons besetzt. Wenn Picard
seine ganze Kunst an ihren Köpfen beweisen wollte,
ward ihnen die Zeit lang, sie gähnten, oder sprangen
auf und liefen ein paar mahl in der Stube herum,
oder haschten einen Schmetterling, der eben zum Fen-
ster hineingeflogen war. Wenn ihre Mutter, wie
es oft geschah, Assembleen hielt, wo in dem schön er-
leuchteten grossen Saale, der wohlgeputzte benach-
barte Adel, an zwanzig Spieltischen mit dem ernsten
Geschäft, die Zeit zu tödten, beschäftigt war, schlich
sich die älteste Fräulein, Adelheid, oft in den Gar-
ten, die untergehende Abendsonne zu betrachten, den
Nachtigallen zuzuhören, oder den Duft der Nacht-
violen und des Jesmins einzuziehen. Sie hatten
beide keinen glänzenden Verstand, wenn man es
glänzenden Verstand heißt, über alle Gegenstände vor-
schnell und mit Selbstgenügsamkeit ein Redespiel zu

halten;
Erster Theil. M



rinnen. Sie hatten gar keine Anlage zum Hofleben.
Sie waren ein paar gute Landmaͤdchen mit rothen Ba-
cken, die vor Geſundheit ſtrotzten. Auf dem Hofe
herum zu ſpringen, oder des Abends die bloͤkenden
Heerden eintreiben zu ſehen, war ein Feſt fuͤr ſie.
Jm leichten Roͤckchen und im glatten Nachthaͤubchen
mit himmelblauem Bande umſteckt, gefielen ſie ſich
beſſer, als in dem reichen Anzuge eines ſtoffenen
Schnuͤrkleides mit Pompons beſetzt. Wenn Picard
ſeine ganze Kunſt an ihren Koͤpfen beweiſen wollte,
ward ihnen die Zeit lang, ſie gaͤhnten, oder ſprangen
auf und liefen ein paar mahl in der Stube herum,
oder haſchten einen Schmetterling, der eben zum Fen-
ſter hineingeflogen war. Wenn ihre Mutter, wie
es oft geſchah, Aſſembleen hielt, wo in dem ſchoͤn er-
leuchteten groſſen Saale, der wohlgeputzte benach-
barte Adel, an zwanzig Spieltiſchen mit dem ernſten
Geſchaͤft, die Zeit zu toͤdten, beſchaͤftigt war, ſchlich
ſich die aͤlteſte Fraͤulein, Adelheid, oft in den Gar-
ten, die untergehende Abendſonne zu betrachten, den
Nachtigallen zuzuhoͤren, oder den Duft der Nacht-
violen und des Jeſmins einzuziehen. Sie hatten
beide keinen glaͤnzenden Verſtand, wenn man es
glaͤnzenden Verſtand heißt, uͤber alle Gegenſtaͤnde vor-
ſchnell und mit Selbſtgenuͤgſamkeit ein Redeſpiel zu

halten;
Erſter Theil. M
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[177/0203] rinnen. Sie hatten gar keine Anlage zum Hofleben. Sie waren ein paar gute Landmaͤdchen mit rothen Ba- cken, die vor Geſundheit ſtrotzten. Auf dem Hofe herum zu ſpringen, oder des Abends die bloͤkenden Heerden eintreiben zu ſehen, war ein Feſt fuͤr ſie. Jm leichten Roͤckchen und im glatten Nachthaͤubchen mit himmelblauem Bande umſteckt, gefielen ſie ſich beſſer, als in dem reichen Anzuge eines ſtoffenen Schnuͤrkleides mit Pompons beſetzt. Wenn Picard ſeine ganze Kunſt an ihren Koͤpfen beweiſen wollte, ward ihnen die Zeit lang, ſie gaͤhnten, oder ſprangen auf und liefen ein paar mahl in der Stube herum, oder haſchten einen Schmetterling, der eben zum Fen- ſter hineingeflogen war. Wenn ihre Mutter, wie es oft geſchah, Aſſembleen hielt, wo in dem ſchoͤn er- leuchteten groſſen Saale, der wohlgeputzte benach- barte Adel, an zwanzig Spieltiſchen mit dem ernſten Geſchaͤft, die Zeit zu toͤdten, beſchaͤftigt war, ſchlich ſich die aͤlteſte Fraͤulein, Adelheid, oft in den Gar- ten, die untergehende Abendſonne zu betrachten, den Nachtigallen zuzuhoͤren, oder den Duft der Nacht- violen und des Jeſmins einzuziehen. Sie hatten beide keinen glaͤnzenden Verſtand, wenn man es glaͤnzenden Verſtand heißt, uͤber alle Gegenſtaͤnde vor- ſchnell und mit Selbſtgenuͤgſamkeit ein Redeſpiel zu halten; Erſter Theil. M

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/203>, abgerufen am 21.11.2024.