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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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Vater den künftigen Frühling mit einem neuen Hof-
meister senden wollte, den er ihm selbst ausgesucht
hatte. Jndessen wollte er sich mit Genehmhaltung
seines Vaters, den Winter über auf seiner Schwester
Gute aufhalten. Weil sie von Adel war, und mit
dem benachbarten Adel viel Umgang hielt, welchem
sie den Ton gegeben hatte, den Aufenthalt auf dem
Lande, nicht mit ländlichen Vergnügungen, sondern
nach städtischer Etikette, mit Besuchen, Gastmahlen,
Assembleen, Spielpartien und Bällen, zuzubringen;
so glaubte er, bey ihr Kenntniß der großen Welt zu
erlangen und alles was sich noch etwa von Schulstaube
an ihm finden möchte, rein abzuschütteln.

Dieses Schulstaubes konnte an ihm auch nicht so
gar viel seyn, denn er hatte als ein reicher Jüngling
sich nicht auf Brodstudien gelegt, und noch weni-
ger sich mit den alten Sprachen und mit den trocknen
Lehrgebäuden der speculativen Wissenschaften beschäf-
tigt; sondern seine Studien waren lachend und reizend
und bestanden in Collegien über die schönen Wissen-
schaften, und in fleißigem Lesen aller deutschen Poeten
sonderlich derjenigen, die Freude, Wein und Liebe be-
sungen haben. Er hatte überdies französisch, englän-
disch und italiänisch gelernt, und hatte in diesen Spra-
chen alle Poeten und die besten Kritiker gelesen.

Er



Vater den kuͤnftigen Fruͤhling mit einem neuen Hof-
meiſter ſenden wollte, den er ihm ſelbſt ausgeſucht
hatte. Jndeſſen wollte er ſich mit Genehmhaltung
ſeines Vaters, den Winter uͤber auf ſeiner Schweſter
Gute aufhalten. Weil ſie von Adel war, und mit
dem benachbarten Adel viel Umgang hielt, welchem
ſie den Ton gegeben hatte, den Aufenthalt auf dem
Lande, nicht mit laͤndlichen Vergnuͤgungen, ſondern
nach ſtaͤdtiſcher Etikette, mit Beſuchen, Gaſtmahlen,
Aſſembleen, Spielpartien und Baͤllen, zuzubringen;
ſo glaubte er, bey ihr Kenntniß der großen Welt zu
erlangen und alles was ſich noch etwa von Schulſtaube
an ihm finden moͤchte, rein abzuſchuͤtteln.

Dieſes Schulſtaubes konnte an ihm auch nicht ſo
gar viel ſeyn, denn er hatte als ein reicher Juͤngling
ſich nicht auf Brodſtudien gelegt, und noch weni-
ger ſich mit den alten Sprachen und mit den trocknen
Lehrgebaͤuden der ſpeculativen Wiſſenſchaften beſchaͤf-
tigt; ſondern ſeine Studien waren lachend und reizend
und beſtanden in Collegien uͤber die ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften, und in fleißigem Leſen aller deutſchen Poeten
ſonderlich derjenigen, die Freude, Wein und Liebe be-
ſungen haben. Er hatte uͤberdies franzoͤſiſch, englaͤn-
diſch und italiaͤniſch gelernt, und hatte in dieſen Spra-
chen alle Poeten und die beſten Kritiker geleſen.

Er
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[186/0212] Vater den kuͤnftigen Fruͤhling mit einem neuen Hof- meiſter ſenden wollte, den er ihm ſelbſt ausgeſucht hatte. Jndeſſen wollte er ſich mit Genehmhaltung ſeines Vaters, den Winter uͤber auf ſeiner Schweſter Gute aufhalten. Weil ſie von Adel war, und mit dem benachbarten Adel viel Umgang hielt, welchem ſie den Ton gegeben hatte, den Aufenthalt auf dem Lande, nicht mit laͤndlichen Vergnuͤgungen, ſondern nach ſtaͤdtiſcher Etikette, mit Beſuchen, Gaſtmahlen, Aſſembleen, Spielpartien und Baͤllen, zuzubringen; ſo glaubte er, bey ihr Kenntniß der großen Welt zu erlangen und alles was ſich noch etwa von Schulſtaube an ihm finden moͤchte, rein abzuſchuͤtteln. Dieſes Schulſtaubes konnte an ihm auch nicht ſo gar viel ſeyn, denn er hatte als ein reicher Juͤngling ſich nicht auf Brodſtudien gelegt, und noch weni- ger ſich mit den alten Sprachen und mit den trocknen Lehrgebaͤuden der ſpeculativen Wiſſenſchaften beſchaͤf- tigt; ſondern ſeine Studien waren lachend und reizend und beſtanden in Collegien uͤber die ſchoͤnen Wiſſen- ſchaften, und in fleißigem Leſen aller deutſchen Poeten ſonderlich derjenigen, die Freude, Wein und Liebe be- ſungen haben. Er hatte uͤberdies franzoͤſiſch, englaͤn- diſch und italiaͤniſch gelernt, und hatte in dieſen Spra- chen alle Poeten und die beſten Kritiker geleſen. Er

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/212>, abgerufen am 14.05.2024.