Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite


Er hatte sehr viele Gedichte an Phillis und Doris
gemacht, und dies blieb noch beständig, nebst der Sor-
ge für seinen Anzug, seine vornehmste Beschäftigung.
Er hielt sehr viel von seiner eignen kleinen Person, die
daher auch beständig geputzt, geschniegelt, und auf
vier Nadeln
gezogen war. Er gefiel sich selbst sehr
wohl, nächst diesem aber war sein hauptsächlichstes
Augenmerk, dem Frauenzimmer zu gefallen. Er
vermied möglichst alle Gesellschaften, worin bloß
Mannspersonen waren. Jn vermischten Gesellschaf-
ten saß er allemahl einem Frauenzimmer zur Seite,
und wenn er wählen konnte, allemahl bey der, die
den sanftesten Blick hatte. Er bewunderte, um Be-
kanntschaft zu machen, ihre Arbeit, die sie eben ver-
fertigte, lobte ihr wohl gestecktes Demi-ajuste,*)
und sagte ihr über einen Assassin tausend ar-
tige Sachen. Von da gieng er unvermerkt zum
Erforschen ihres Verstandes über. Er sagte ihr mit
sanftlispelnder Stimme, er sehe die kleinen Amorn

und
*) Weil zu vermuthen ist, daß eher Buchgelehrte, als Gens
du bon ton
dieses Werk lesen werden, so müssen, der
beklagenswürdigen Unwissenheit der erstern zu Liebe, hier
schon einige Wörter erklärt werden, die sonst jedermann
versteht, des qu'il entre dans le monde. Ein Bonnet a demi
ajuste
ist ein Kopfzeug, unter dem eine Dame halb frisirt
seyn muß. Ein Assassin ist nichts als ein Schönpfläster-
chen,


Er hatte ſehr viele Gedichte an Phillis und Doris
gemacht, und dies blieb noch beſtaͤndig, nebſt der Sor-
ge fuͤr ſeinen Anzug, ſeine vornehmſte Beſchaͤftigung.
Er hielt ſehr viel von ſeiner eignen kleinen Perſon, die
daher auch beſtaͤndig geputzt, geſchniegelt, und auf
vier Nadeln
gezogen war. Er gefiel ſich ſelbſt ſehr
wohl, naͤchſt dieſem aber war ſein hauptſaͤchlichſtes
Augenmerk, dem Frauenzimmer zu gefallen. Er
vermied moͤglichſt alle Geſellſchaften, worin bloß
Mannsperſonen waren. Jn vermiſchten Geſellſchaf-
ten ſaß er allemahl einem Frauenzimmer zur Seite,
und wenn er waͤhlen konnte, allemahl bey der, die
den ſanfteſten Blick hatte. Er bewunderte, um Be-
kanntſchaft zu machen, ihre Arbeit, die ſie eben ver-
fertigte, lobte ihr wohl geſtecktes Demi-ajuſté,*)
und ſagte ihr uͤber einen Aſſaſſin tauſend ar-
tige Sachen. Von da gieng er unvermerkt zum
Erforſchen ihres Verſtandes uͤber. Er ſagte ihr mit
ſanftliſpelnder Stimme, er ſehe die kleinen Amorn

und
*) Weil zu vermuthen iſt, daß eher Buchgelehrte, als Gens
du bon ton
dieſes Werk leſen werden, ſo muͤſſen, der
beklagenswuͤrdigen Unwiſſenheit der erſtern zu Liebe, hier
ſchon einige Woͤrter erklaͤrt werden, die ſonſt jedermann
verſteht, dès qu’il entre dans le monde. Ein Bonnet à demi
ajuſté
iſt ein Kopfzeug, unter dem eine Dame halb friſirt
ſeyn muß. Ein Aſſaſſin iſt nichts als ein Schoͤnpflaͤſter-
chen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0213" n="187"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Er hatte &#x017F;ehr viele Gedichte an Phillis und Doris<lb/>
gemacht, und dies blieb noch be&#x017F;ta&#x0364;ndig, neb&#x017F;t der Sor-<lb/>
ge fu&#x0364;r &#x017F;einen Anzug, &#x017F;eine vornehm&#x017F;te Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung.<lb/>
Er hielt &#x017F;ehr viel von &#x017F;einer eignen kleinen Per&#x017F;on, die<lb/>
daher auch be&#x017F;ta&#x0364;ndig geputzt, ge&#x017F;chniegelt, und <hi rendition="#fr">auf<lb/>
vier Nadeln</hi> gezogen war. Er gefiel &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr<lb/>
wohl, na&#x0364;ch&#x017F;t die&#x017F;em aber war &#x017F;ein haupt&#x017F;a&#x0364;chlich&#x017F;tes<lb/>
Augenmerk, dem Frauenzimmer zu gefallen. Er<lb/>
vermied mo&#x0364;glich&#x017F;t alle Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften, worin bloß<lb/>
Mannsper&#x017F;onen waren. Jn vermi&#x017F;chten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaf-<lb/>
ten &#x017F;aß er allemahl einem Frauenzimmer zur Seite,<lb/>
und wenn er wa&#x0364;hlen konnte, allemahl bey der, die<lb/>
den &#x017F;anfte&#x017F;ten Blick hatte. Er bewunderte, um Be-<lb/>
kannt&#x017F;chaft zu machen, ihre Arbeit, die &#x017F;ie eben ver-<lb/>
fertigte, lobte ihr wohl ge&#x017F;tecktes <hi rendition="#aq">Demi-aju&#x017F;té,</hi><note xml:id="seg2pn_2_1" next="#seg2pn_2_2" place="foot" n="*)">Weil zu vermuthen i&#x017F;t, daß eher Buchgelehrte, als <hi rendition="#aq">Gens<lb/>
du bon ton</hi> die&#x017F;es Werk le&#x017F;en werden, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, der<lb/>
beklagenswu&#x0364;rdigen Unwi&#x017F;&#x017F;enheit der er&#x017F;tern zu Liebe, hier<lb/>
&#x017F;chon einige Wo&#x0364;rter erkla&#x0364;rt werden, die &#x017F;on&#x017F;t jedermann<lb/>
ver&#x017F;teht, <hi rendition="#aq">dès qu&#x2019;il entre dans le monde.</hi> Ein <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Bonnet à demi<lb/>
aju&#x017F;</hi></hi> i&#x017F;t ein Kopfzeug, unter dem eine Dame halb fri&#x017F;irt<lb/>
&#x017F;eyn muß. Ein <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">A&#x017F;&#x017F;a&#x017F;&#x017F;in</hi></hi> i&#x017F;t nichts als ein Scho&#x0364;npfla&#x0364;&#x017F;ter-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chen,</fw></note><lb/>
und &#x017F;agte ihr u&#x0364;ber einen <hi rendition="#aq">A&#x017F;&#x017F;a&#x017F;&#x017F;in</hi> tau&#x017F;end ar-<lb/>
tige Sachen. Von da gieng er unvermerkt zum<lb/>
Erfor&#x017F;chen ihres Ver&#x017F;tandes u&#x0364;ber. Er &#x017F;agte ihr mit<lb/>
&#x017F;anftli&#x017F;pelnder Stimme, er &#x017F;ehe die kleinen Amorn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0213] Er hatte ſehr viele Gedichte an Phillis und Doris gemacht, und dies blieb noch beſtaͤndig, nebſt der Sor- ge fuͤr ſeinen Anzug, ſeine vornehmſte Beſchaͤftigung. Er hielt ſehr viel von ſeiner eignen kleinen Perſon, die daher auch beſtaͤndig geputzt, geſchniegelt, und auf vier Nadeln gezogen war. Er gefiel ſich ſelbſt ſehr wohl, naͤchſt dieſem aber war ſein hauptſaͤchlichſtes Augenmerk, dem Frauenzimmer zu gefallen. Er vermied moͤglichſt alle Geſellſchaften, worin bloß Mannsperſonen waren. Jn vermiſchten Geſellſchaf- ten ſaß er allemahl einem Frauenzimmer zur Seite, und wenn er waͤhlen konnte, allemahl bey der, die den ſanfteſten Blick hatte. Er bewunderte, um Be- kanntſchaft zu machen, ihre Arbeit, die ſie eben ver- fertigte, lobte ihr wohl geſtecktes Demi-ajuſté, *) und ſagte ihr uͤber einen Aſſaſſin tauſend ar- tige Sachen. Von da gieng er unvermerkt zum Erforſchen ihres Verſtandes uͤber. Er ſagte ihr mit ſanftliſpelnder Stimme, er ſehe die kleinen Amorn und *) Weil zu vermuthen iſt, daß eher Buchgelehrte, als Gens du bon ton dieſes Werk leſen werden, ſo muͤſſen, der beklagenswuͤrdigen Unwiſſenheit der erſtern zu Liebe, hier ſchon einige Woͤrter erklaͤrt werden, die ſonſt jedermann verſteht, dès qu’il entre dans le monde. Ein Bonnet à demi ajuſté iſt ein Kopfzeug, unter dem eine Dame halb friſirt ſeyn muß. Ein Aſſaſſin iſt nichts als ein Schoͤnpflaͤſter- chen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/213
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/213>, abgerufen am 14.05.2024.