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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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und Amoretten auf ihrem Postillion auf und nieder-
steigen, und sich unter den Falten ihrer Respectueuse
verbergen, oder andere dergleichen niedliche Jmagi-
natiönchen. Wenn er nun merkte, daß sie Verstand
und Geschmack genug hatte, mit seinen lieblichen Em-
pfindungen zu sympathisiren, so fing er gemeiniglich
an zu stammlen, sahe etwas schaafmäßig aus, und
langte aus seiner Tasche einige von seinen Gedichten,
die er ihr vorlas, und von Zeit zu Zeit mit seitwärts
schielenden Augen, die Wirkung seiner Geistesfrucht,
zu erforschen suchte. Erhielt er ein ruhiges Gehör,
und durch einen lächelnden Mund und sanftes Kopf-
neigen einen gütigen Beyfall, so hatte er ein ver-
gnügtes Tagewerk gehabt. Empfing er aber eine
laute Bewunderung, bat man sich eine Abschrift des
Gedichts aus, oder bemerkte er gar, daß der Busen
seiner Zuhörerin sich zu einem Seufzer empor hob,
oder daß sie aus blauen Augen, (denen er, als sei-
nem eigenen schmachtenden Charakter am gemäßesten,

vor
chen, das aber seiner Größe wegen, wenn ein gemeines
Schönfleckgen verwundet, gar wohl todtschlagen kann.
Ein Postillion d'Amour ist eine große Brustschleife von
Band, welche weder Pferd noch Horn hat. Eine Re-
spectueuse
ist eine Bedeckung des Busens, mit Spitzen,
Filet und anderm durchsichtigen Zeuge, die vermuthlich
den! Namen davon führt, weil sie nicht Ehrfurcht vert
anlaßt.



und Amoretten auf ihrem Poſtillion auf und nieder-
ſteigen, und ſich unter den Falten ihrer Reſpectueuſe
verbergen, oder andere dergleichen niedliche Jmagi-
natioͤnchen. Wenn er nun merkte, daß ſie Verſtand
und Geſchmack genug hatte, mit ſeinen lieblichen Em-
pfindungen zu ſympathiſiren, ſo fing er gemeiniglich
an zu ſtammlen, ſahe etwas ſchaafmaͤßig aus, und
langte aus ſeiner Taſche einige von ſeinen Gedichten,
die er ihr vorlas, und von Zeit zu Zeit mit ſeitwaͤrts
ſchielenden Augen, die Wirkung ſeiner Geiſtesfrucht,
zu erforſchen ſuchte. Erhielt er ein ruhiges Gehoͤr,
und durch einen laͤchelnden Mund und ſanftes Kopf-
neigen einen guͤtigen Beyfall, ſo hatte er ein ver-
gnuͤgtes Tagewerk gehabt. Empfing er aber eine
laute Bewunderung, bat man ſich eine Abſchrift des
Gedichts aus, oder bemerkte er gar, daß der Buſen
ſeiner Zuhoͤrerin ſich zu einem Seufzer empor hob,
oder daß ſie aus blauen Augen, (denen er, als ſei-
nem eigenen ſchmachtenden Charakter am gemaͤßeſten,

vor
chen, das aber ſeiner Groͤße wegen, wenn ein gemeines
Schoͤnfleckgen verwundet, gar wohl todtſchlagen kann.
Ein Poſtillion d’Amour iſt eine große Bruſtſchleife von
Band, welche weder Pferd noch Horn hat. Eine Re-
ſpectueuſe
iſt eine Bedeckung des Buſens, mit Spitzen,
Filet und anderm durchſichtigen Zeuge, die vermuthlich
den! Namen davon fuͤhrt, weil ſie nicht Ehrfurcht vert
anlaßt.
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[188/0214] und Amoretten auf ihrem Poſtillion auf und nieder- ſteigen, und ſich unter den Falten ihrer Reſpectueuſe verbergen, oder andere dergleichen niedliche Jmagi- natioͤnchen. Wenn er nun merkte, daß ſie Verſtand und Geſchmack genug hatte, mit ſeinen lieblichen Em- pfindungen zu ſympathiſiren, ſo fing er gemeiniglich an zu ſtammlen, ſahe etwas ſchaafmaͤßig aus, und langte aus ſeiner Taſche einige von ſeinen Gedichten, die er ihr vorlas, und von Zeit zu Zeit mit ſeitwaͤrts ſchielenden Augen, die Wirkung ſeiner Geiſtesfrucht, zu erforſchen ſuchte. Erhielt er ein ruhiges Gehoͤr, und durch einen laͤchelnden Mund und ſanftes Kopf- neigen einen guͤtigen Beyfall, ſo hatte er ein ver- gnuͤgtes Tagewerk gehabt. Empfing er aber eine laute Bewunderung, bat man ſich eine Abſchrift des Gedichts aus, oder bemerkte er gar, daß der Buſen ſeiner Zuhoͤrerin ſich zu einem Seufzer empor hob, oder daß ſie aus blauen Augen, (denen er, als ſei- nem eigenen ſchmachtenden Charakter am gemaͤßeſten, vor *) *) chen, das aber ſeiner Groͤße wegen, wenn ein gemeines Schoͤnfleckgen verwundet, gar wohl todtſchlagen kann. Ein Poſtillion d’Amour iſt eine große Bruſtſchleife von Band, welche weder Pferd noch Horn hat. Eine Re- ſpectueuſe iſt eine Bedeckung des Buſens, mit Spitzen, Filet und anderm durchſichtigen Zeuge, die vermuthlich den! Namen davon fuͤhrt, weil ſie nicht Ehrfurcht vert anlaßt.

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/214>, abgerufen am 14.05.2024.