Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



schmeichelhafte Hofnung in seiner Seele erreget hatte,
und dies zog das Band der angefangenen Bekannt-
schaft noch fester zusammen.

Mariane, auf ihrer Seite sahe ihn auch gern;
denn er war ein feiner und bescheidener junger Mensch,
der sie mit den schönen Wissenschaften, zu denen ihr
die Neigung mit der Muttermilch war eingeflößt wor-
den, angenehm unterhielt; ausserdem war er die erste
Mannsperson, der ihr gesagt hatte daß sie schön sey, und
daß ihre blauen Augen mit sanfter herzrührender Kraft
wirkten, und auch das sittsamste und philosophischste
Frauenzimmer pflegt eine solche Nachricht, aufs
höchste mit einem kleinen Verweise zu bestrafen.

Die Kenner wollen bemerkt haben, daß
die Vereinigung zwischen zwey jungen Personen
zweyerley Geschlechts selten ganz stille stehen bleibe,
und nicht allein beständig unvermerkt fortzurücken
pflege, sondern auch zuweilen, durch einen ganz klei-
nen Umstand, mit einem so starken Sprunge fort-
schreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding,
das menschliche Herz, nicht genau bekannt ist, glau-
ben, es geschehe durch eine Art von Zauberey. Dies
war der Fall mit Säuglingen und Marianen, die
bey einer unvermutheten, und dem Anscheine nach,
ganz geringen Veranlassung, von einer bloßen Be-

kannt-
Erster Theil. N



ſchmeichelhafte Hofnung in ſeiner Seele erreget hatte,
und dies zog das Band der angefangenen Bekannt-
ſchaft noch feſter zuſammen.

Mariane, auf ihrer Seite ſahe ihn auch gern;
denn er war ein feiner und beſcheidener junger Menſch,
der ſie mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, zu denen ihr
die Neigung mit der Muttermilch war eingefloͤßt wor-
den, angenehm unterhielt; auſſerdem war er die erſte
Mannsperſon, der ihr geſagt hatte daß ſie ſchoͤn ſey, und
daß ihre blauen Augen mit ſanfter herzruͤhrender Kraft
wirkten, und auch das ſittſamſte und philoſophiſchſte
Frauenzimmer pflegt eine ſolche Nachricht, aufs
hoͤchſte mit einem kleinen Verweiſe zu beſtrafen.

Die Kenner wollen bemerkt haben, daß
die Vereinigung zwiſchen zwey jungen Perſonen
zweyerley Geſchlechts ſelten ganz ſtille ſtehen bleibe,
und nicht allein beſtaͤndig unvermerkt fortzuruͤcken
pflege, ſondern auch zuweilen, durch einen ganz klei-
nen Umſtand, mit einem ſo ſtarken Sprunge fort-
ſchreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding,
das menſchliche Herz, nicht genau bekannt iſt, glau-
ben, es geſchehe durch eine Art von Zauberey. Dies
war der Fall mit Saͤuglingen und Marianen, die
bey einer unvermutheten, und dem Anſcheine nach,
ganz geringen Veranlaſſung, von einer bloßen Be-

kannt-
Erſter Theil. N
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0219" n="193"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;chmeichelhafte Hofnung in &#x017F;einer Seele erreget hatte,<lb/>
und dies zog das Band der angefangenen Bekannt-<lb/>
&#x017F;chaft noch fe&#x017F;ter zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mariane,</hi> auf ihrer Seite &#x017F;ahe ihn auch gern;<lb/>
denn er war ein feiner und be&#x017F;cheidener junger Men&#x017F;ch,<lb/>
der &#x017F;ie mit den &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, zu denen ihr<lb/>
die Neigung mit der Muttermilch war eingeflo&#x0364;ßt wor-<lb/>
den, angenehm unterhielt; au&#x017F;&#x017F;erdem war er die er&#x017F;te<lb/>
Mannsper&#x017F;on, der ihr ge&#x017F;agt hatte daß &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;n &#x017F;ey, und<lb/>
daß ihre blauen Augen mit &#x017F;anfter herzru&#x0364;hrender Kraft<lb/>
wirkten, und auch das &#x017F;itt&#x017F;am&#x017F;te und philo&#x017F;ophi&#x017F;ch&#x017F;te<lb/>
Frauenzimmer pflegt eine &#x017F;olche Nachricht, aufs<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;te mit einem kleinen Verwei&#x017F;e zu be&#x017F;trafen.</p><lb/>
          <p>Die Kenner wollen bemerkt haben, daß<lb/>
die Vereinigung zwi&#x017F;chen zwey jungen Per&#x017F;onen<lb/>
zweyerley Ge&#x017F;chlechts &#x017F;elten ganz &#x017F;tille &#x017F;tehen bleibe,<lb/>
und nicht allein be&#x017F;ta&#x0364;ndig unvermerkt fortzuru&#x0364;cken<lb/>
pflege, &#x017F;ondern auch zuweilen, durch einen ganz klei-<lb/>
nen Um&#x017F;tand, mit einem &#x017F;o &#x017F;tarken Sprunge fort-<lb/>
&#x017F;chreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding,<lb/>
das men&#x017F;chliche Herz, nicht genau bekannt i&#x017F;t, glau-<lb/>
ben, es ge&#x017F;chehe durch eine Art von Zauberey. Dies<lb/>
war der Fall mit <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglingen</hi> und <hi rendition="#fr">Marianen,</hi> die<lb/>
bey einer unvermutheten, und dem An&#x017F;cheine nach,<lb/>
ganz geringen Veranla&#x017F;&#x017F;ung, von einer bloßen Be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Er&#x017F;ter Theil.</hi> N</fw><fw place="bottom" type="catch">kannt-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0219] ſchmeichelhafte Hofnung in ſeiner Seele erreget hatte, und dies zog das Band der angefangenen Bekannt- ſchaft noch feſter zuſammen. Mariane, auf ihrer Seite ſahe ihn auch gern; denn er war ein feiner und beſcheidener junger Menſch, der ſie mit den ſchoͤnen Wiſſenſchaften, zu denen ihr die Neigung mit der Muttermilch war eingefloͤßt wor- den, angenehm unterhielt; auſſerdem war er die erſte Mannsperſon, der ihr geſagt hatte daß ſie ſchoͤn ſey, und daß ihre blauen Augen mit ſanfter herzruͤhrender Kraft wirkten, und auch das ſittſamſte und philoſophiſchſte Frauenzimmer pflegt eine ſolche Nachricht, aufs hoͤchſte mit einem kleinen Verweiſe zu beſtrafen. Die Kenner wollen bemerkt haben, daß die Vereinigung zwiſchen zwey jungen Perſonen zweyerley Geſchlechts ſelten ganz ſtille ſtehen bleibe, und nicht allein beſtaͤndig unvermerkt fortzuruͤcken pflege, ſondern auch zuweilen, durch einen ganz klei- nen Umſtand, mit einem ſo ſtarken Sprunge fort- ſchreite, daß diejenigen, denen das verborgene Ding, das menſchliche Herz, nicht genau bekannt iſt, glau- ben, es geſchehe durch eine Art von Zauberey. Dies war der Fall mit Saͤuglingen und Marianen, die bey einer unvermutheten, und dem Anſcheine nach, ganz geringen Veranlaſſung, von einer bloßen Be- kannt- Erſter Theil. N

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/219
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/219>, abgerufen am 21.11.2024.