Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



dung gezogen, zuweilen an die Hand gab, sehr wohl
gefallen. Kurz er betrachtete sie als eine Muse, die
ihn zu neuem Schwunge seiner Gedichte begei-
stern konnte, sie ihn aber, als einen angenehmen Ge-
sellschafter, der sie mit Lectur und mit Gesprächen
unterhielt, die ihrer Neigung gemäß waren.

Von Anfange an hatten beide bey ihrem vertrau-
ten Umgange, keine andere als diese Absicht. Jn
kurzem aber verlohr sich Säugling, der Marianen
beständig mit großer Jnbrunst angaffte, und täglich
an ihr neue Schönheiten des Körpers und des Gei-
stes entdeckte, ganz in ihre Vollkommenheiten. Er
empfand, er wuste nicht was, und betrug sich dabey,
er wuste nicht wie. Sein Geist erblickte Maria-
nens
Schönheit, Tugend und Vollkommenheit, im
herrlichsten Glanze, und mitten in diesem Anschauen,
entdeckte er neue Schönheit, Tugend und Vollkom-
menheit; so daß er endlich davon ganz geblendet ward.
Er ward trübsinnig und ängstlich in seinem Betragen,
und weil Mariane, der wahren Ursach unwissend,
ihn zuweilen in einem Anfalle von lustiger Laune
darüber ein wenig aufzuziehen pflegte, so gerieth er
in noch größere Verlegenheit, und trauete sich nicht,
von seinen Empfindungen nur ein Wörtchen zu sagen.
Er nahm seine Zuflucht zur Dichtkunst, und ließ in

die



dung gezogen, zuweilen an die Hand gab, ſehr wohl
gefallen. Kurz er betrachtete ſie als eine Muſe, die
ihn zu neuem Schwunge ſeiner Gedichte begei-
ſtern konnte, ſie ihn aber, als einen angenehmen Ge-
ſellſchafter, der ſie mit Lectur und mit Geſpraͤchen
unterhielt, die ihrer Neigung gemaͤß waren.

Von Anfange an hatten beide bey ihrem vertrau-
ten Umgange, keine andere als dieſe Abſicht. Jn
kurzem aber verlohr ſich Saͤugling, der Marianen
beſtaͤndig mit großer Jnbrunſt angaffte, und taͤglich
an ihr neue Schoͤnheiten des Koͤrpers und des Gei-
ſtes entdeckte, ganz in ihre Vollkommenheiten. Er
empfand, er wuſte nicht was, und betrug ſich dabey,
er wuſte nicht wie. Sein Geiſt erblickte Maria-
nens
Schoͤnheit, Tugend und Vollkommenheit, im
herrlichſten Glanze, und mitten in dieſem Anſchauen,
entdeckte er neue Schoͤnheit, Tugend und Vollkom-
menheit; ſo daß er endlich davon ganz geblendet ward.
Er ward truͤbſinnig und aͤngſtlich in ſeinem Betragen,
und weil Mariane, der wahren Urſach unwiſſend,
ihn zuweilen in einem Anfalle von luſtiger Laune
daruͤber ein wenig aufzuziehen pflegte, ſo gerieth er
in noch groͤßere Verlegenheit, und trauete ſich nicht,
von ſeinen Empfindungen nur ein Woͤrtchen zu ſagen.
Er nahm ſeine Zuflucht zur Dichtkunſt, und ließ in

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0234" n="208"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
dung gezogen, zuweilen an die Hand gab, &#x017F;ehr wohl<lb/>
gefallen. Kurz er betrachtete &#x017F;ie als eine Mu&#x017F;e, die<lb/>
ihn zu neuem Schwunge &#x017F;einer Gedichte begei-<lb/>
&#x017F;tern konnte, &#x017F;ie ihn aber, als einen angenehmen Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chafter, der &#x017F;ie mit Lectur und mit Ge&#x017F;pra&#x0364;chen<lb/>
unterhielt, die ihrer Neigung gema&#x0364;ß waren.</p><lb/>
          <p>Von Anfange an hatten beide bey ihrem vertrau-<lb/>
ten Umgange, keine andere als die&#x017F;e Ab&#x017F;icht. Jn<lb/>
kurzem aber verlohr &#x017F;ich <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling,</hi> der <hi rendition="#fr">Marianen</hi><lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig mit großer Jnbrun&#x017F;t angaffte, und ta&#x0364;glich<lb/>
an ihr neue Scho&#x0364;nheiten des Ko&#x0364;rpers und des Gei-<lb/>
&#x017F;tes entdeckte, ganz in ihre Vollkommenheiten. Er<lb/>
empfand, er wu&#x017F;te nicht was, und betrug &#x017F;ich dabey,<lb/>
er wu&#x017F;te nicht wie. Sein Gei&#x017F;t erblickte <hi rendition="#fr">Maria-<lb/>
nens</hi> Scho&#x0364;nheit, Tugend und Vollkommenheit, im<lb/>
herrlich&#x017F;ten Glanze, und mitten in die&#x017F;em An&#x017F;chauen,<lb/>
entdeckte er neue Scho&#x0364;nheit, Tugend und Vollkom-<lb/>
menheit; &#x017F;o daß er endlich davon ganz geblendet ward.<lb/>
Er ward tru&#x0364;b&#x017F;innig und a&#x0364;ng&#x017F;tlich in &#x017F;einem Betragen,<lb/>
und weil <hi rendition="#fr">Mariane,</hi> der wahren Ur&#x017F;ach unwi&#x017F;&#x017F;end,<lb/>
ihn zuweilen in einem Anfalle von lu&#x017F;tiger Laune<lb/>
daru&#x0364;ber ein wenig aufzuziehen pflegte, &#x017F;o gerieth er<lb/>
in noch gro&#x0364;ßere Verlegenheit, und trauete &#x017F;ich nicht,<lb/>
von &#x017F;einen Empfindungen nur ein Wo&#x0364;rtchen zu &#x017F;agen.<lb/>
Er nahm &#x017F;eine Zuflucht zur Dichtkun&#x017F;t, und ließ in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0234] dung gezogen, zuweilen an die Hand gab, ſehr wohl gefallen. Kurz er betrachtete ſie als eine Muſe, die ihn zu neuem Schwunge ſeiner Gedichte begei- ſtern konnte, ſie ihn aber, als einen angenehmen Ge- ſellſchafter, der ſie mit Lectur und mit Geſpraͤchen unterhielt, die ihrer Neigung gemaͤß waren. Von Anfange an hatten beide bey ihrem vertrau- ten Umgange, keine andere als dieſe Abſicht. Jn kurzem aber verlohr ſich Saͤugling, der Marianen beſtaͤndig mit großer Jnbrunſt angaffte, und taͤglich an ihr neue Schoͤnheiten des Koͤrpers und des Gei- ſtes entdeckte, ganz in ihre Vollkommenheiten. Er empfand, er wuſte nicht was, und betrug ſich dabey, er wuſte nicht wie. Sein Geiſt erblickte Maria- nens Schoͤnheit, Tugend und Vollkommenheit, im herrlichſten Glanze, und mitten in dieſem Anſchauen, entdeckte er neue Schoͤnheit, Tugend und Vollkom- menheit; ſo daß er endlich davon ganz geblendet ward. Er ward truͤbſinnig und aͤngſtlich in ſeinem Betragen, und weil Mariane, der wahren Urſach unwiſſend, ihn zuweilen in einem Anfalle von luſtiger Laune daruͤber ein wenig aufzuziehen pflegte, ſo gerieth er in noch groͤßere Verlegenheit, und trauete ſich nicht, von ſeinen Empfindungen nur ein Woͤrtchen zu ſagen. Er nahm ſeine Zuflucht zur Dichtkunſt, und ließ in die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/234
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/234>, abgerufen am 21.11.2024.