Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite


Zu beklagen war es freilich, daß dieser sonst gut-
herzige Mann, und der beym Antritte seines Amtes
auf die symbolischen Bücher gefchworen hatte, in sei-
nem Herzen nichts weniger als orthodor war. Ueber
das athanasische Glaubensbekenntniß hat er zwar sich
niemals erklärt, nur weil er anstatt des Liedes:
Wir gläuben all an einen Gott etc. welches sonst
alle Sonntage in seiner Kirche war gesungen worden,
oft ein geistliches Lied von Gellerten singen ließ, war
er bey einigen vielleicht allzubrünstigorthodoren Land-
predigern in der Nähe, nicht in allzugutem Geruche.
Ueber die Lehre von der Genugthuung aber äußerte
er bey Gelegenheit viele Zweifel. Er verschwendete
(ohne Eregese, von der er wenig hielt) viel philosophi-
sche Spitzfündigkeit, um dieser Lehre eine bessere Form
zu geben; denn er war ein eifriger Anhänger der
Crusiusschen Philosophie, welche unter allen andern
Philosophien am geschicktesten scheinet, die Theologie
philosophischer, und die Philosophie theologischer zu
machen. Am meisten aber ging er in der Lehre vom
tausendjährigen Reiche und von der Ewigkeit der
Höllenstrafen von der Dogmatik ab. Er glaubte das
erstere steif und fest, und von der letztern hatte er
sich nie überzeugen können. Er glaubte, daß in dem
himmlischen Jerusalem alle Gottlosen fromm werden

würden.
A 3


Zu beklagen war es freilich, daß dieſer ſonſt gut-
herzige Mann, und der beym Antritte ſeines Amtes
auf die ſymboliſchen Buͤcher gefchworen hatte, in ſei-
nem Herzen nichts weniger als orthodor war. Ueber
das athanaſiſche Glaubensbekenntniß hat er zwar ſich
niemals erklaͤrt, nur weil er anſtatt des Liedes:
Wir glaͤuben all an einen Gott ꝛc. welches ſonſt
alle Sonntage in ſeiner Kirche war geſungen worden,
oft ein geiſtliches Lied von Gellerten ſingen ließ, war
er bey einigen vielleicht allzubruͤnſtigorthodoren Land-
predigern in der Naͤhe, nicht in allzugutem Geruche.
Ueber die Lehre von der Genugthuung aber aͤußerte
er bey Gelegenheit viele Zweifel. Er verſchwendete
(ohne Eregeſe, von der er wenig hielt) viel philoſophi-
ſche Spitzfuͤndigkeit, um dieſer Lehre eine beſſere Form
zu geben; denn er war ein eifriger Anhaͤnger der
Cruſiusſchen Philoſophie, welche unter allen andern
Philoſophien am geſchickteſten ſcheinet, die Theologie
philoſophiſcher, und die Philoſophie theologiſcher zu
machen. Am meiſten aber ging er in der Lehre vom
tauſendjaͤhrigen Reiche und von der Ewigkeit der
Hoͤllenſtrafen von der Dogmatik ab. Er glaubte das
erſtere ſteif und feſt, und von der letztern hatte er
ſich nie uͤberzeugen koͤnnen. Er glaubte, daß in dem
himmliſchen Jeruſalem alle Gottloſen fromm werden

wuͤrden.
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="5"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Zu beklagen war es freilich, daß die&#x017F;er &#x017F;on&#x017F;t gut-<lb/>
herzige Mann, und der beym Antritte &#x017F;eines Amtes<lb/>
auf die &#x017F;ymboli&#x017F;chen Bu&#x0364;cher gefchworen hatte, in &#x017F;ei-<lb/>
nem Herzen nichts weniger als orthodor war. Ueber<lb/>
das athana&#x017F;i&#x017F;che Glaubensbekenntniß hat er zwar &#x017F;ich<lb/>
niemals erkla&#x0364;rt, nur weil er an&#x017F;tatt des Liedes:<lb/><hi rendition="#fr">Wir gla&#x0364;uben all an einen Gott &#xA75B;c.</hi> welches &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
alle Sonntage in &#x017F;einer Kirche war ge&#x017F;ungen worden,<lb/>
oft ein gei&#x017F;tliches Lied von <hi rendition="#fr">Gellerten</hi> &#x017F;ingen ließ, war<lb/>
er bey einigen vielleicht allzubru&#x0364;n&#x017F;tigorthodoren Land-<lb/>
predigern in der Na&#x0364;he, nicht in allzugutem Geruche.<lb/>
Ueber die Lehre von der Genugthuung aber a&#x0364;ußerte<lb/>
er bey Gelegenheit viele Zweifel. Er ver&#x017F;chwendete<lb/>
(ohne Erege&#x017F;e, von der er wenig hielt) viel philo&#x017F;ophi-<lb/>
&#x017F;che Spitzfu&#x0364;ndigkeit, um die&#x017F;er Lehre eine be&#x017F;&#x017F;ere Form<lb/>
zu geben; denn er war ein eifriger Anha&#x0364;nger der<lb/>
Cru&#x017F;ius&#x017F;chen Philo&#x017F;ophie, welche unter allen andern<lb/>
Philo&#x017F;ophien am ge&#x017F;chickte&#x017F;ten &#x017F;cheinet, die Theologie<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;cher, und die Philo&#x017F;ophie theologi&#x017F;cher zu<lb/>
machen. Am mei&#x017F;ten aber ging er in der Lehre vom<lb/>
tau&#x017F;endja&#x0364;hrigen Reiche und von der Ewigkeit der<lb/>
Ho&#x0364;llen&#x017F;trafen von der Dogmatik ab. Er glaubte das<lb/>
er&#x017F;tere &#x017F;teif und fe&#x017F;t, und von der letztern hatte er<lb/>
&#x017F;ich nie u&#x0364;berzeugen ko&#x0364;nnen. Er glaubte, daß in dem<lb/>
himmli&#x017F;chen Jeru&#x017F;alem alle Gottlo&#x017F;en fromm werden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 3</fw><fw place="bottom" type="catch">wu&#x0364;rden.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0025] Zu beklagen war es freilich, daß dieſer ſonſt gut- herzige Mann, und der beym Antritte ſeines Amtes auf die ſymboliſchen Buͤcher gefchworen hatte, in ſei- nem Herzen nichts weniger als orthodor war. Ueber das athanaſiſche Glaubensbekenntniß hat er zwar ſich niemals erklaͤrt, nur weil er anſtatt des Liedes: Wir glaͤuben all an einen Gott ꝛc. welches ſonſt alle Sonntage in ſeiner Kirche war geſungen worden, oft ein geiſtliches Lied von Gellerten ſingen ließ, war er bey einigen vielleicht allzubruͤnſtigorthodoren Land- predigern in der Naͤhe, nicht in allzugutem Geruche. Ueber die Lehre von der Genugthuung aber aͤußerte er bey Gelegenheit viele Zweifel. Er verſchwendete (ohne Eregeſe, von der er wenig hielt) viel philoſophi- ſche Spitzfuͤndigkeit, um dieſer Lehre eine beſſere Form zu geben; denn er war ein eifriger Anhaͤnger der Cruſiusſchen Philoſophie, welche unter allen andern Philoſophien am geſchickteſten ſcheinet, die Theologie philoſophiſcher, und die Philoſophie theologiſcher zu machen. Am meiſten aber ging er in der Lehre vom tauſendjaͤhrigen Reiche und von der Ewigkeit der Hoͤllenſtrafen von der Dogmatik ab. Er glaubte das erſtere ſteif und feſt, und von der letztern hatte er ſich nie uͤberzeugen koͤnnen. Er glaubte, daß in dem himmliſchen Jeruſalem alle Gottloſen fromm werden wuͤrden. A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/25
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/25>, abgerufen am 28.04.2024.